Dienstag, 21. November 2017

Unerschrocken (Reprodukt)

Unerschrocken (Reprodukt)

In ihrer biographischen Comicanthologie „Unerschrocken“ erzählt Pénélope Bagieu die Lebensgeschichten von fünfzehn besonderen Frauen* die auf ihre eigene Weise Mut bewiesen haben und trotz widriger Umstände ihr Leben so führten wie sie wollten. Dabei haben sie sich gegen Männer, das patriarchale System und starre Rollenbilder aufgelehnt und somit oftmals nicht nur ihr eigenes Leben führen können wie sie wollten, sondern auch gesellschaftlich und politisch einiges in Bewegung gesetzt.

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass viele Geschichten Gewalt und sexistische Übergriffe darstellen sowie thematisieren. Vor allem das Kapitel über Leymah Gbowee enthält explizit sexualisierte Gewalt.

„Unerschrocken“ erzählt auf 144 Seiten die Geschichten von 15 völlig unterschiedlichen Frauen* und ihren genauso unterschiedlichen Wegen, sich selbst zu verwirklichen und auszubrechen. Von Clémentine Delait, der Dame mit Bart, die ihren vermeintlichen Schönheitsmakel in Szene setzte um sich als ungewöhnliche Schönheit zu inszenieren, über Tove Jansson, die mit ihren Mumin Comics die Welt eroberte, den Ruhm aber aufgab um mit ihrer Geliebten ein ruhiges Leben führen zu können bis hin zu Agnodike, die ein Leben als Mann führen musste um im antike Griechenland als Gynäkologin praktizieren zu können, egal wie unterschiedlich sie sind, sie haben gemein, dass sie die Welt verändert haben. Wenn auch die Eine im kleinen Privaten und die Andere für einen großen Teil der Gesellschaft.

Rebelliert haben sie jedenfalls alle auf ihre eigene Art und Weise. Interessant daran ist auch vor allem, wie verschieden die vorgestellten Personen sind. Auch wenn darunter einige bekanntere Namen sind, erzählt der Comic genauso die Geschichten einiger wenig bekannter historischer Persönlichkeiten. Kritik an der Auswahl gibt es aber nicht, da gerade durch die eigene Auswahl von Bagieu einige unerwartete Geschichten erzählt werden, die ich in solch einer Sammlung nicht unbedingt erwartet hätte, oder schlicht noch gar nicht kannte. Somit sollten auch alle, die sich schon etwas mehr mit Feminismus und revolutionären Frauen* beschäftigt haben, noch die eine oder andere neue Person kennenlernen.

Mit jeweils nicht mal ganz zehn Seiten pro Geschichte sind die Lebenswerke recht kurz gefasst, wodurch teilweise unbedeutendere, aber trotzdem nicht uninteressante Details keinen Platz in den Erzählungen finden konnten. Die Autorin und Zeichnerin beschränkt sich daher meist auf die wichtigsten Eckpunkte der Lebensgeschichten und triviale Informationen werden meist eher in Form von kleinen Gags am Rande in die Panel eingearbeitet. Interessant ist dabei, dass sich dabei nicht lediglich auf völlig positive Beispiele beschränkt wurde. So wird zum Beispiel auch die chinesische Kaiserin Wu Zetian vorgestellt, die auch eine sehr brutale Kriegsherrin war, die zwar versuchte das Leben der einfachen Bauern und Bäuerinnen zu verbessern, gleichzeitig aber auch brutalst mit ihrer Geheimpolizei gegen Oppositionelle vorging. Spannend, weil hier nicht nur gezeigt wird, wie sie an die Macht gekommen ist, obwohl sie kein Mann war, sondern auch herausgearbeitet wird, dass sie zwar auch eine schrecklich autoritäre Herrscherin war, die aber nicht schlimmer als die männlichen Kaiser war und trotzdem nur sie als so böse in die Geschichtsbücher eingegangen ist.

Zeichnerisch ist der Comic eher zurückhaltend und einfach gehalten. Dafür ist das Artwork an den richtigen Stellen immer sehr pointiert umgesetzt worden und viele Seiten verstecken kleine lustige Situationen und Anspielungen die nur durch einen genaueren Blick ins Buch entdeckt werden können.

Sicherlich gibt es einzelne Aussagen, die kritisierbar sind. Zum Beispiel in der Geschichte über Christine Jorgensen, einer Transfrau, sich sich Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts einer hormonellen und chirurgischen Behandlung unterzieht und trotz ihrer schüchternen Art an die Öffentlichkeit geht um andere Transpersonen zu empowern. Das Kapitel beginnt mit den Worten sie sei "im Körper eines Jungen geboren". Aus queerfeministischer Sicht ist das eine doofe Formulierung, weil sie unterstellt, dass menschliche Körper anhand von Geschlechtsmerkmalen männlich oder weiblich sind. Denn eigentlich ist ja das Problem, dass die Gesellschaft sie in ihrer Kindheit als Junge wahrgenommen hat und nicht, dass sie einer war. Aber sowohl dieses Kapitel als auch der gesamte Comic sind insgesamt sehr respektvoll geschrieben. Die sehr richtigen Intentionen und Positionen zeigen sich beispielsweise anhand anderer Zitate wie hier im Bezug auf ihre Namensänderung: "George war immer eine Frau, aber Christine ist nun auch in den Augen der restlichen Welt eine Frau". Sodass es im Gesamtwerk als große Errungenschaft angesehen werden kann. 

Ein sehr schöner Hardcoverband mit vielen spannenden Geschichten von Frauen, die meist für ein besseres Leben für sich und ein besseres Leben für alle gekämpft haben. Unter den fünfzehn Geschichten sind höchstens 1-2, die nicht ganz an die Qualität der Übrigen heran ragen können. Der Rest kann bestens unterhalten und gleichzeitig informieren.

8,9 von 10 männliche Sitzgelegenheiten

von El Tofu und Julia