Montag, 5. September 2011

M (Cross Cult)


M (Cross Cult)

Fritz Langs erster Tonfilm aus dem Jahre 1931, M – Eine Stadt sucht einen Mörder, gilt als Meilenstein des expressionistischen Kinos und als eines der bedeutendsten Werke des deutschsprachigen Filmes. Der Comic-Künstler und Illustrator Jon J. Muth (Sandman: Das Erwachen) hat aus der kinematografischen Vorlage eine gleichermaßen betörend schöne wie verstörende Graphic Novel gemacht. 
Die kollektive Paranoia, die Darstellung einer denunziatorischen, verschreckten Gesellschaft am Vorabend der Machtübernahme der Nazis und die kühl distanzierte Inszenierung im Stil der „Neuen Sachlichkeit“– das alles überträgt Muth in verblasst verfremdetem Fotorealismus in das Medium Comic und erweitert den filmischen Stoff um neue bildliche und erzählerische Tiefen. Als bildgewaltig könnte man das Werk umschreiben, das CrossCult uns hier in einer vollkommen runderneuerten Fassung mit nachbearbeiteten Zeichnungen, in einem wertigen Hardcovereinband kredenzt.

Ich habe schon viel über Comics und ihre Stile geschrieben und schon einiges auf dem Bereich zumindest gesehen und bin ob des enormen Detailgrades einfach nur offen beeindruckt. Auf fast jeder Seite ertappe ich mich dadurch selbst dabei, immer wieder ungläubig zu staunen und mir zu denken „nein das kann nicht gezeichnet sein“, doch letztlich muss ich einsehen, dass es wirklich Handzeichnungen sind die ich da vor mir habe. Da verwundert es nicht, das die Arbeit an dieser Graphic Novel etwa sechzehnmal so lange gedauert hat, wie Fritz Langs Dreharbeiten am Gleichnamigen Film („M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ wurde in 6 Wochen gedreht).

Das Buch beginnt mit einer sehr persönlichen Danksagung des Autors in der er sich bei allen bedankt, die ihn auf diesem langen Weg begleitet haben und leitet anschließend zum Vorwort über. Auf etwa 8 ausführlichen Seiten wird hier von George Seeßlen in einer sehr akademischen Weise, die Struktur der beiden Medien und ihrer unterschiedlichen Interpretationsansatze näher beleuchtet. Auf Grund der Eindringlichkeit und Präzision dieses Textes, der einige Details aufs Genaueste beleuchtet wäre es mir lieber gewesen diesen ans Ende zu setzten und dem Leser zunächst die Möglichkeit zu lassen selbst eine Interpretation zu entwerfen.
Die Hauptgeschichte von M gliedert sich in 4 Bücher, Mord, Razzia, die Jagd und der Prozess. Jedes stellt für sich genommen einen Entwicklungsabschnitt dar und beleuchtet unterschiedliche Aspekte. Im ersten Buch wird die Angst der Leute vor dem Mörder und die zunehmende psycho-soziale Spannung deutlich dadurch, dass nach einem weiteren Kindermord jeder plötzlich jedem auf der Straße misstraut. Die Gesellschaft schaukelt sich zusagen in einen kollektiven Angst und Misstrauenszustand, der nochmals durch die Medien (Zeitung, Radio) geschürt wird.
Diese Anspannung führt dazu, dass die machtlose Polizei immer mehr zu repressiven Maßnahmen und Hausdurchsuchungen gezwungen ist, was besonders dem Berliner Ganoven- und Rotlichtviertel überhaupt nicht zusagt und so behandelt Buch zwei die Beratung der sogenannten Ringorganisationen über mögliche Maßnahmen. Dieser Abschnitt ist sehr gekonnt vom Autor ausgeführt beinhaltet er eine sogenannte Paralellhandlung in der man sozusagen zeitgleich die Beratung der Ganoven, als auch die der Polizei zu genau dem selben Thema mit verfolgt, sodass klar wird beide wollen den Mörder („M“) aus dem Weg haben, die einen um Recht und Ordnung wiederherzustellen und die anderen um wieder in Ruhe ihren Machenschaften nach gehen zu können.
In Buch drei folgt dann die Jagd in der wir als Leser deutlich näher am Mörder dran sind und erleben wie er gejagt und verfolgt wird. Die Ganoven haben nämlich gemeinsam mit den örtlichen Bettlern ein Abkommen, dass sie jedes ungewöhnliche Vorkommnis melden sollen und als der Mörder einmal unachtsam ist, da schnappt das Netz zu. Allerdings entkommt M in ein nahe gelegenes Bürogebäude in dem er sich versteckt. Die Ganoven könnten die Polizei rufen beschließen aber besser selbstjustiziarisch zu Handeln und brechen in das Gebäude ein. Bei der Aktion wird zwar die Polizei alamiert aber der Großteil entkommt zusammen mit dem gefassten Mörder.
Im letzten Teil wird sozusagen das Tribunal abgehalten irgendwo im Untergrund unterhalb Berlins veranstalten die Ringorganisationen einen Schauprozess um den Mörder zu verurteilen. In dieser Stelle bekommt man durch einen nervlichen Ausbruch des Mörders einen tiefen Einblick in die Dinge die ihn umtreiben und wie sehr er sich vor seinem „Es“ fürchtet und den Drang des Mordes vollkommen auf ein anderes Ich abgelegt hat, so dass er vermeintlich Schuldunfähig wäre.
Die Ganoven auf den Rängen dieser Veranstalltung lassen allerdings keinen Zweifel daran, was sie von der ganzen Sache halten immer wieder skandieren sie „Totschlagen!“. Doch noch bevor etwas gesehen kann, taucht die Polizei in Gestalt von Inspektor Lohmann auf und hier lässt einen das Buch seine Leser mit der unangenehmen Unwissenheit zurück was nun aus dem Mörder wird.

Eine unglaublich starke und besonders bildgewaltige Geschichte über die zwei Seiten eines Mörders und derer die ihn verfolgen. Beide Seiten haben ihre Extreme und niemandem kann man wirklich Sympathie zu sprechen. Allerdings wird die Möglichkeit eingeräumt etwas Empathie für die Bestie in Form des Mörders aufzubauen, an dessen Grausamkeit zwar kein Zweifel gelassen wird, der jedoch von sich selbst und seinem eigenen „Es“ so sehr umgetrieben wird, das dem Leser ein wenig Zweifel kommen können, wo die Grenze von Wahn und Wirklichkeit verläuft.

Es handelt sich bei M nicht so sehr um ein Remake, sondern vielmehr um eine Nacherzählung mit veränderten Schwerpunkten, Akzente und Symbole sind anders gesetzt als in der Verfilmung und auch der emotionale Zugang ist hier ein vollkommen anderer. Doch Muth schafft es den Stoff sehr gut in die Sprache einer Graphic Novel zu übersetzen und neu aufleben zu lassen.

9.0 von 10 gesellschaftlichen Hysterien