Sonntag, 1. Juli 2018

Unerschrocken 2 (Reprodukt)


Unerschrocken 2 (Reprodukt)

Egal ob Mae Jemison, die erst schwarze Astronautin im All, die investigative Journalistin Nellie Bly oder die indische Politikerin und Banditenkönigin Phoolan Devi: Sie alle haben gemein, dass sie Frauen waren die, ihren eigenen Weg gegangen sind und dabei, teilweise unter schrecklichen Bedingungen, gegen geltende Geschlechterbilder und für Selbstbestimmung kämpften. Dieser Comicband erzählt die Lebensgeschichten von 15 Frauen und schildert die Hürden, die ihnen in den Weg gelegt wurden.

Genauso wie schon in ihrem ersten „Unerschrocken“ Band präsentiert Pénélope Bagieu auch in der Fortsetzung insgesamt 15 Portraits ungewöhnlicher Frauen. Mit der Kunstsammlerin Peggy Guggenheim und der Forensikerin Frances Glessner Lee enthält dieser Band sehr kurzweilige Erzählungen, die durch die Verschrobenheit der beiden Frauen unterhalten können. Ganz im Gegensatz zu den Lebensgeschichten der afghanischen Rapperin Sonita Alizadeh und von Phoolan Devi. Vor allem Devis Geschichte ist äußert belastend und verstörend. Eine unglaubliche Leistung, dass sie trotz den Dingen, die sie durchleben musste, so viele Dinge erreichen konnte. Wichtig ist ein Contentwarning zu der Geschichte, die sich viel mit sexueller-, physischer und psychischer Gewalt beschäftigt.

Unter allen anderen Geschichten sticht dann vor allem die der „Shaggs“ heraus. Dabei handelt es sich um eine Indieband dreier britischer Schwestern, die von ihrem Vater in den 1960er Jahren dazu gezwungen wurden, Musik zu machen. Ohne ein Gespür für Musik und nur minimale Kontakte zur Außenwelt entstand daraus unter der Regie ihres herrischen Vaters 1969 ihr Album „Philosophy of the World“. Ein grausiges, auch für Fans der noisigsten Grunge Ergüsse nur schwer zu ertragendes Album. Vor allem kam diese Platte später zu Ruhm durch einige Musikhipster und auch Kurt Cobain, der die Shaggs als einen seiner Einflüsse benannte. Problematisch an der Erwähnung dieser Band ist, dass die Schwestern wirklich alles andere als „Unerschrocken“ waren. Ihre gesamte Jugend wurde ihnen von ihrem Vater diktiert und erst sein Tod befreite sie. Für die Öffentlichkeit war nie ersichtlich, dass sie bedeutend rebelliert oder sich dagegen gewehrt hätten. Ein Fakt, der ihnen keinesfalls angekreidet werden kann, dennoch wirkt ihre Platzierung in diesem Comic etwas fehlgeleitet.

Abgesehen von der zweifelswürdigen Erwähnung der Shaggs ist an diesem Comic auch seine fast ausschließliche Konzentration auf heteronormative Personen zu kritisieren. Lesbische und bisexuelle Lebensweisen finden höchstens am Rande als abenteuerliche Eskapaden eine Erwähnung während es keine einzige nicht-binäre- oder Trans*person in diese Erzählungen geschafft hat. Ebenfalls stieß mir immer wieder die bloße Verwendung der maskulinen Wortnutzung auf. Wenn zum Beispiel erwähnt wird, dass eine Person zum Beispiel ein Vorbild für Forensiker*innen oder Austronaut*innen ist, warum wird dann nicht auch geschlechterneutrale Sprache und stattdessen nur das generisches Maskulinum benutzt?

Falls ihr schon den ersten Band gelesen habt, werdet ihr die optische Umsetzung sofort wiedererkennen. Bagielis Zeichenstil ist etwas besonders und sehr kunstvoll, jedoch ohne zu verschwurbelt und abschreckend zu wirken. Das Layout ist einfach und eingängig und lässt so auch unerfahrenen Comicleser*innen nie den Überblick verlieren. Insgesamt nicht unbedingt ein Stil, der mir wirklich gut gefällt, aber er passt zum Erzählstil und lockert die Kapitel auch durch seinen visuellen Humor ein wenig auf.

Ein solider Comic zu einem wichtigen Thema, schön und pointiert erzählt. Das ganze kommt als sehr hübsch aufgemachter Hardcoverband.

7 von 10 Vulkanproben