Freitag, 22. September 2023

Junji Ito - Tomb Town: Der steinerne Tod (Carlsen Manga)

Junji Ito - Tomb Town: Der steinerne Tod (Carlsen Manga)

Ein weiteres Mal entführt Mangaka Junji Ito uns in die düsteren Gefilde seiner Vorstellungskraft. Dort treffen wir auf Mädchen die zu Schnecken werden, sprechende Statuen, einen Ort der Blut trinkt und kleine fliegende Puschel die deine, gut gehüteten Geheimnisse ausplaudern.
Tomb Town

Ein Ort in dem alle Leichen am Ort ihres Ablebens zu Grabsteinen erstarren dient als Kulisse der Titel gebenden Geschichte dieses Sammelbands. Ito gelingt es hierbei die allgegenwärtig des Todes in unserem Alltag begreifbar zu machen. Ansonsten lebt die Geschichte aber vor allem von der Kuriosität der Prämisse und kann leider nicht mehr Tiefe oder Spannung erzeugen. Das Ende ist dann auch wenig überraschend, weshalb die Story eher zu den schwächeren dieser Sammlung gehört.

Haus der Feindschaft

Diesmal geht es um eine klassische Geistergeschichte. Nur das Ito sich nicht der Thematik einer alten Geistersage annimmt, sondern moderne Geister heraufbeschwört. Diese gehören nämlich zu zwei verfeindeten politischen Gruppen zur Zeit der Sudierenden Revolte in Japan. Einst gehörten sie der selben Gruppe an, dann zerstritten sie sich jedoch und so plenierte die eine Gruppe im Erdgeschoss und die andere im Dachgeschoss, bis sie sich schließlich gegenseitig im Streit ermordeten. Jahre später erkunden ein paar Freundinnen das alte, modrige Haus und lassen sich dabei in die Jahrzehnte alten Konflikte der Studierenden hineinziehen.
Eine clevere Idee von Ito, die zum Teil äußerst brutalen, internen Konflikte der japanischen 68'er Bewegung in eine klassische Geistergeschichte einzuweben. Der finale Twist ergibt Sinn, ist aber wenig überraschend. Ansonsten aber eine gute, unheimliche Geschichte.

Schneckenmädchen

Eine Teenagerin stellt erschrocken fest, ihre Zunge hat sich in eine Schnecke verwandelt. Nachdem nichts gegen das schleimige Tier hilft, beißt sie sich schließlich die Zunge ab, aber auch das hilft ihr nicht gegen ihre allmähliche Verwandlung.
Eine sehr einfache, jedoch letztlich ebenso effektive Body-Horror Episode. Abseits der Prämisse warten hier keine größeren Überraschungen auf die Leser*innen. Ein Mädchen verwandelt sich in eine Schnecke, mehr braucht es nicht für den Horror. Manchen mag das zu wenig sein und man kann auch kritisieren, das so etwas schockierender auch in „Uzumaki“ geschieht. Ich fand dieses Kapitel allerdings gerade weil es so simpel ist relativ effektiv.

Das Fenster gegenüber

Eine Familie zieht in ein neues Haus. Gegenüber steht ein Haus, das angeblich schon lange vakant ist. Doch als der Sohn der Familie das erste Mal in seinem neuen Zimmer nächtigen will sieht er auf der anderen Seite eine unheimliche Frau, die immer näher kommt.
Auch diese Geschichte gibt es im Schaffen von Ito noch öfter, hier allerdings weniger bedrohlich oder atmosphärisch als in früheren Arbeiten. Eine der schwächeren Episoden.

Strandgut

Am Strand wird ein riesiges, urzeitliches Wesen aus dem Meer angespült. Als wäre das nicht schlimm genug befinden sich im Wasser verunglückte Menschen im Inneren des Tieres. Zwar leben diese noch, aber sie müssen etwas in den Tiefen des Meeres gesehen haben, dass ihnen den Verstand geraubt hat.
Für mich die schwächste Geschichte dieser Ausgabe. Zwar ist die Idee um diesen Unterseeehorror im Stile Lovecrafts ganz nett. So richtig umwerfend ist die Vorstellung des Unterwasserhorrors dann doch nicht. Schließlich braucht es keine alten Götter oder anderes kosmisches Getier um Menschen wahnsinnig werden zu lassen. Vor allem nicht, wenn sie eh schon von einem schrecklichen Wesen verspeist wurden und seitdem in ihm leben.

Die ehrenwerten Vorfahren

Um seine ehrenwerten Vorfahren zufrieden zu stellen, muss ein junger Mann nicht nur umgehend heiraten, sondern sich auch umgehend vermehren. Seine Freundin findet die Art und Weise wie und warum dies von statten gehen soll derartig beunruhigend, dass sie ihre Erinnerungen verliert. Umso besser, denn vielleicht kann man sie somit leichter dazu bringen Teil einer ganz besonderen Familie zu werden.
Die Geschichte bietet erneut Body-Horror aber da wir hier mal wieder etwas besser ausgearbeitete Charaktere geboten bekommen bedeutet hier auch der zwischenmenschliche Verrat zwischen einem jungen Mann und seiner potentiellen Ehefrau eine größere Fallhöhe. Hier existiert nicht nur ungeahntes Grauen direkt in unserer Umgebung, nein, es geht auch von einer geliebten Person aus. Kurz und beklemmend. Außerdem mit einer süßen Gruselraupe.

Lange Träume

Jede Nacht werden die Träume eines Krankenhauspatienten länger. Schon bald vergehen für ihn im Schlaf viele Jahre. Später erinnert er sich nicht mehr an sein Leben vor dem Schlaf, bis er dann jede Nacht für Jahrhunderte im Traum bleibt. Letztlich verändert sich sogar sein Körper, was die Ärzte auf eine Idee bringt.
Das Konzept ist sehr gruselig, auch wenn letztlich nicht so viel daraus gemacht wird. Ich fand es dennoch unheimlich, vor allem weil dieses Kapitel einige Effektive Momente bieten kann. Hier wird dennoch etwas Potential verschenkt, weil die Träume uns nicht gut genug vermittelt werden.

Eine Tunnelgeschichte

Durch einen Berg in der nähe eines Dorfes führt ein Tunnel, durch den ein Zug fährt. Öfter kommt es hier zu tödlichen Unfällen. Leute finden sich Nachts im Tunnel wieder. Auch Bahnarbeiter*innen verlaufen sich darin und finden teilweise nie wieder dort heraus.
Eine der sehr wenigen Geschichten in denen Ito zumindest behelfsmäßig versucht eine halbwegs wissenschaftliche Erklärung für das Grauen zu finden. Die Erklärung macht es letztlich aber auch nicht besser und nimmt ein wenig vom Grauen weg. Dafür bekommt ihr hier einige optisch schaurige Momente und auch die von Verzweiflung genährte Atmosphäre weiß zu gefallen.

Bronzestatuen

Sprechende Bronzestatuen sorgen in einem kleinen Ort für mächtig Trubel.
Diesmal bleibt der Horror relativ nahe an Dingen, die real geschehen könnten. Macht die Geschichte aber nicht weniger absurder und die Menschen beweisen mal wieder, dass sie zu solch düsteren Dingen fähig sind, die manches übernatürliche Wesen aus den anderen Geschichten in den Schatten stellen können.

Pompons

Kleine teuflische Pompons fliegen plötzlich durch die Stadt und verkünden lauthals die dunkelsten Geheimnisse der Menschen. Schlimmer wird es jedoch erst als manche Versuchen die Geheimnisse anderer Leute einzufangen.
Eine spannende Geschichte, die ein eher harmloses übernatürliches Element einführt, dass erst durch die Taten der Menschen ihr wahres Horrorpotential entfalten kann. Eine kleine Geschichte ohne einen größeren Schockmoment, die dennoch durch ihre emotionale Kälte gruseln kann, wobei Ito es dennoch schafft dem ganzen einen süßlich, tragisch, schönen, finalen Moment zu verpassen. Eine schöne Geschichte.

Das Blut von Shirasunamura

Der junge Dr. Furuhata verlässt die Großstadt um seinen neuen Job im Bergdorf Shirasunamura anzutreten. Schon kurz nach seiner Ankunft stellt er fest, dass alle Einwohner*innen an akutem Blutmangel leiden. Manchmal fangen sie auch einfach an überall am Körper zu bluten. Ihm wird klar, dass es sich dabei nicht um eine normale Krankheit handelt, sondern um ein Phänomen, das eine direkte Verbindung mit der Natur der Umgebung hat.
Ein starkes Ende für diesen Band. Wieder eine Kurzgeschichte die sich nach H. P. Lovecraft anfühlt, dann aber von Ito in ein typisch japanisches Setting entführt wird. Der Horror ist effektiv und die Geschichte hat mehrere interessante Nebenfiguren.

Fazit

„Tomb Town“ ist nicht unbedingt der bisher beste Sammelband der Junji Ito Collection. Zwar sind schwächere Titel wie „Strandgut“ oder „Das Fenster gegenüber“ klar in der Unterzahl, dafür beinhaltet dieser Hardcover Band aber auch eher mittelmäßige Titel oder Geschichten die in ähnlicher Form schon mal da gewesen sind wie „Schneckenmädchen“ oder „Die ehrenwerten Vorfahren“. Highlights wie „Haus der Feindschaft“, „Pompons“ und „Das Blut von Shirasunamura“ geben jedoch genug Gründe warum Ito Fans sich auch diesen Band nicht entgehen lassen sollten.

7 von 10 Götter des Todes