Dienstag, 22. Juni 2021

Genocidal Organ (2016) [Kazé]

Genocidal Organ (2016) [Kazé]

2015 hat eine selbstgebaute Atombombe ganz Sarajevo ausgelöscht. Ein terroristischer Anschlag, der das leben in den Industrieländern für immer verändert hat. Zentraleuropa und Nordamerika sind zu wasserdichten Überwachungsstaaten geworden, die mit emotionalen Scannern, Fingerabdruck Scannern und Videoüberwachung alle Menschen akribisch bespitzeln. Gleichzeitig zeigte sich aber in den Entwicklungsländern ein ganz neuer, noch erschreckenderer Trend. In diesen Ländern häufen sich zunehmend Bürgerkriege und Genozide. Auffallend ist dabei, dass in jedem dieser Länder der mysteriöse Amerikaner Jean Paul anwesend war, dessen Familie bei dem Anschlag auf Sarajevo ums Leben kamen. 2020: Clavis Shepherd ist Agent einer privaten US Geheimarmeeeinheit und soll Jean ausfindig machen. Seine Untersuchungen führen ihn zur tschechischen Linguistin Lucia, die bis zur Zeit des Anschlags eine Affäre mit Jean Paul führte.

Es handelt sich bei dem Abendfüllenden Animefilm „Genocidal Organ“ die dritte Verfilmung eines Romans des japanischen Science-Fiction Autors Project Itoh. Die Filmadaption von Project Itohs Debütroman hat es erst nach einigen Problemen in die japanischen und dank Kazé auch in die deutschsprachigen Kinos geschafft. Schuld daran war die Pleite des einstigen Studios Manglobe. Erst mit dem eigens dafür erschaffene Geno Studio konnte der Film mit jahrelanger Verspätung fertiggestellt werden.

Die Wartezeit hat sich bis auf kleinere Kritikpunkte wirklich gelohnt. In vielen belangen ist „Genocidal Organ“ ein recht solider aber auch ziemlich gewöhnlicher Spionage Thriller. Typisch fürs Genre begleiten wir einen vermeintlichen Helden, der kaltblütig seinen Job durchzieht, hier unter anderem mit der Hilfe von Microrobots die seine Gefühlsempfindungen unterdrücken um ihn so zu einer brutaleren Killermaschine zu machen. Natürlich sieht er dabei nur den kleinen Teil seiner Aufgabe und versteht nicht welche politische Tragweite hinter seinem tun steht. Es gibt eine junge, hübsche Dame die natürlich irgendwie in den Fall verwickelt ist und ihre Gefühle bringen sie zwischen die Fronten zwischen denen sie sich entscheiden muss. Und wie das Genre es will ist der Bösewicht natürlich zu jeder Zeit allen immer ein paar Schritte voraus und kann jede Übermacht und jeden Plan durch seinen Intellekt problemlos aushebeln.

In vielen Fällen, gerade bei aktuellen Realverfilmungen dieser Gangart wäre hier schon Schluss. Man fügt einige Explosionen hinzu, eine Verfolgungsjagd ist natürlich nicht schlecht und der Showdown darf nicht fehlen. Hier schlägt der Film von Regisseur Shûkô Murase (Samurai Champloo, 2004) allerdings andere Wege ein. Zwar gibt es hier neben der Spionageabteilung auch eine gehörige Portion Action, die zudem noch hart und schonungslos inszeniert wird, aber seinen Geist bekommt der Film erst durch seine philosophische und kulturell soziologische Erzählart verliehen.

Hier beginnt „Genocidal Organ“ über die Entstehung von Genoziden zu reden, über die Macht der Worte und wie diese Menschen zu ihren Taten bewegen. An dieser Stelle bleibt die Geschichte meist eher auf der esoterischen Seite des Spektrums, macht aber gleichzeitig sehr deutlich, dass diese übersinnliche Idee nur eine Parabel auf totalitäre und menschenfeindliche Propaganda sein kann. Ebenso geht es um das sehr aktuelle Thema des Terrors und vor allem der Terrorprävention. Die Menschheit in „Genocidal Organ“ hat ihre Freiheit völlig aufgegeben und zwar zum Großteil gänzlich aus freiem Willen in der Hoffnung auf mehr Sicherheit. Eine Sicherheit die natürlich fiktiv ist, denn nur weil Menschen mauern bauen um Probleme von sich fernzuhalten hören diese Probleme auf einen globalen Level nicht einfach auf zu existieren. Interessant wie dabei Parallelen zu Kafkas Werken gezogen werden, von wo aus es historisch über die Geschichte von Prag zu den Konzentrationslagern der Nazis geht. Von dort geht es dann zurück zu unserem „Helden“ der genauso wie einst die Nazis in den Lagern behauptet nur seinen Job zu erledigen, wobei er ausblendet, dass sein Job auch beinhaltet dutzende Kindersoldaten zu töten für einen Zweck den er nicht kennt und nicht hinterfragt.

Doof nur, dass Genozide, Kritik an der ungehemmten Konsumgesellschaft, Kafka und einige Science-Fiction Motive (zu viele um sie aufzuzählen) etwas zu viel sind für einen zweistündigen Film. Besonders da auch noch die Action und der Spionagethriller irgendwie in der Laufzeit untergebracht werden müssen. Viele Teile des Films wirken daher sehr gehetzt und abgehackt. Viele Dialoge haben nur genug Spielzeit um die wichtigsten Stichworte Einzuwerfen. Ich vermute daher, dass die Geschichte als Miniserie etwas besser funktioniert hätte da mehr Zeit für tiefer gehende Dialoge gewesen wäre.

Die deutsche Synchro ist sehr gut geraten und optisch ist der Film wirklich sehr schön geworden. Der Animationsstil ist sehr westlich beeinflusst und erinnert am ehesten wohl an den Animeklasskiker „Jin-Roh“, der auch inhaltlich nicht weit entfernt ist. Ein besonderes Highlight ist die Detailverliebtheit bei den Hintergründen gerade im Kapitel in Prag werden alle, die schon mal in Prag waren, Orte wiedererkennen. „Genocidal Organ“ ist eine düstere Zukunftsvision, philosophisch anregend und von hart illustrierter Action getrieben. Trotzdem noch lange nicht fehlerfrei, aber in jedem Fall ein Tipp für Fans erwachsener Animationskunst.

8 von 10 künstliche Muskelfleischpanzer