The Eyes of My Mother (2016) [Bildstörung]
Francesca (Olivia Bond) und ihre Eltern leben in einem kleinen abgelegenen Häuschen. Alles wirkt trostlos, doch noch sind die drei zusammen. Dieser Zustand ändert sich auf krasse Art als Charlie (Will Brill) zufällig bei ihnen vorbeikommt. Er verschafft sich Zutritt zu ihrem Haus und tötet Francescas Mutter (Diana Agostini). Ohne, dass es ihren Alltag groß beeinflusst, begraben sie die Mutter und halten Charlie gefangen. Einige Jahre später ist auch ihr Vater (Paul Nazak) gestorben und Francesca (Kika Magalhães) selbst zu einer erwachsenen Frau geworden. Ohne ihre Eltern bleibt ihr nur noch der gefangene Charlie als Freund, denn trotz aller Versuche muss sie feststellen, das die von ihrer Mutter geerbten chirurgischen Fähigkeiten nur wenig dabei helfen neue Kontakte zu knüpfen.
Der junge Filmregisseur und Autor Nicolas Pesce legt mit seinem Spielfilmdebüt „The Eyes of My Mother“ einen ekligen, beklemmenden Batzen Horrordrama vor. Die zuschauenden begleiten Diana Agostini, die die meiste Zeit des Films allein auf der Leinwand zu sehen ist, wobei das Haus visuell genug Raum einnimmt, selbst als Darsteller wahrgenommen zu werden. Erzählt wird ein Großteil ihrer Lebensgeschichte: von dem kleinen Mädchen, das ihre Mutter auf gewalttätige Weise verliert und dann isoliert vom Rest der Welt zur Frau wird. Später - ohne ihren Vater - versucht sie ohne Kenntnisse im Umgang mit anderen Menschen und ohne jegliche Social Skills ihre Einsamkeit zu beenden. Dabei verliert sie sich zusehend mehr in einer Spirale aus Wahn und Gewalt.
Pesce schafft dabei zwei sehr bemerkenswerte Dinge: Einmal bringt er uns dazu, Mitleid mit Francisca zu haben, die sich zwar pausenlos monströs verhält, zugleich aber ein Opfer ihrer Umwelt ist und trotz ihrer mörderischen Art unheimlich zerbrechlich und kindlich wirkt. Zum Großteil liegt das aber auch an der wirklich fabelhaften Leistung von Kika Magalhães die durch ihr Schauspiel ganz allein den Film auf eine höhere Ebene bringt. Pesces andere große Leistung besteht darin eine albtraumhafte, psychedlische Erfahrung zu kreieren, die in ihrer schwarzweißen Optik im klassischen Sinne an Opium geschwängerte Träume aus der Feder eines Edgar Allan Poes stammen könnte. Neben dieser sehr zeitlosen Art des Horrors erweckt der Film einen äußerst gewalttätigen und blutrünstigen Eindruck, das aber ohne die Kamera je auf physisch brutales zu richten. Durch geschickte Kamerawinkel und Zeitsprünge wird vermieden, Gewalt zu zeigen. Oftmals verpassen wir sie ganz, mal nur Bruchteilhaft am Rande oder nur in Form von Geräuschen.
Neben Pesce und Magalhães kann hier noch ein drittes junges Talent entdeckt werden, dem ich eine sehr erfolgreiche Zukunft wünsche. Was der Kameramann Zach Kuperstein hier auf den Bildschirm bringt, ist oftmals atemberaubend. Egal, ob seine Kamera die Weite der Natur einfängt um Einsamkeit und Isolation zu zeigen oder er die Enge des Hauses zum Sinnbild Francescas innerer Befangenheit macht: jede Einstellung ist gelungen und jede Kamerafahrt zeigt ein dunkles, bestens komponiertes Kunstwerk. Durch seine Arbeit sieht der Film nach einem sehr viel höheren Budget aus, als vorhanden war, und wirklich an wenigen Stellen lässt sich anhand der Optik erkennen, dass es sich hierbei nur um eine kleine Erstlingsproduktion handelt.
Aber trotz allen lobenden Worten und den vielen Auszeichnungen bleibt Anlass zur Kritik. Um einen wirklich langlebigeren Eindruck zu hinterlassen hätte der Film inhaltlich mehr bieten müssen. Insgesamt könnte alles was im Film passiert in wenigen Sätzen sehr konkret beschrieben werden. Dadurch bleibt vieles offen, wenn auch absichtlich. Vieles bleibt aber so vage, dass sich die Zuschauenden viel dazu denken müssen, was nicht unbedingt schlecht ist, aber es ist zu wenig um wirklich nachhaltige Gedanken anzuregen und danach kann zwar spekuliert werden, aber inhaltlich ist einfach zu wenig vorhanden um das gesehene zu analysieren ohne nur die eigene Meinung in die Kunst einer anderen Person hinein zu projizieren. Ist natürlich Geschmackssache, aber eben nicht so meins. Mir hätte es jedenfalls mehr gefallen wie Beweggründe und Hintergründe der Figuren etwas mehr logisch ausgearbeitet gewesen wären. Dadurch wäre natürlich etwas von dem wahnhaften Flair verloren gegangen, aber das wäre zu verkraften für mehr Inhalt. Außerdem wird es stellenweise auch etwas zu artsy und prätentiös, was Pesce aber auch selbst bemerkt hat.
Der Film sieht auf Blu-ray vollkommen fantastisch aus und auch die deutsche Synchro (samt einigen portugiesischen Stellen die deutsch Untertitelt wurden) ist gelungen. Wie alle Drop Outs von Bildstörung, dies hier ist der 29., kommt auch „The Eyes of My Mother“ in einem schönen Pappschuber mit entfernbaren FSK Logo. Der Disc liegt ein Booklet bei und auch auf der Disc lassen sich noch einige Extras wiederfinden. Darunter ist ein knapp einstündiges Interview mit Pesce, ein Audiokommentar von ihm, sowie eines seiner Musikvideos, eine Bildergalerie und Trailer.
7 von 10 Bonanza Hinrichtungen