Mittwoch, 5. Juni 2019

Martyrs (2008)

Martyrs (2008)

Lucie (Mylène Jampanoï) wurde als Kind entführt und über mehrere Monate gefoltert und misshandelt, jedoch nicht vergewaltigt. Ihr gelingt die Flucht und so kommt sie in ein Krankenhaus. Dort lernt sie Anna (Morjana Alaoui) kennen die von ihrer Mutter auch nicht gerade gut behandelt wurde. Die beiden Freunden sich an und wachsen zusammen auf. Lucies Peiniger*innen werden aber nie gefasst, weil sie nie in der Lage war darüber zu sprechen was mit ihr geschehen ist. 15 Jahre später klingelt Lucie bei einer Familie und erschießt ohne Vorwarnung Vater, Mutter und die Kinder. Sie glaubt Rache genommen zu haben und anscheinend hat sie sogar Recht. Damit ist ihr Seelenheil doch noch lange nicht wieder hergestellt.



Soweit die Handlung der ersten 20 Minuten des französischen Films. Mehr will ich auch nicht verraten.

Über „Martyrs“ von Regisseur und Autor Pascal Laugier (Saint Ange - Haus der Stimmen, 2004) wurde schon viel behauptet. Die Einen preisen Laugiers Film als Meisterwerk, Andere reden von schlecht gemachtem Torture Porn. Wirklich recht soll keine der beiden Parteien behalten.

Zuerst: Der Film ist wirklich hart, reicht aber was die gezeigte physische Gewalt angeht nicht an andere Filme der sogenannten „New French Extremity“ wie zum Beispiel Alexandre Bustillos und Julien Maurys „Inside“ (2007) heran. Trotzdem sind längere Strecken des Films nur schwer zu ertragen, da sie psychisch sehr schwer tragen. Besonders das letzte Drittel das oft auf stumpfe Weise quälende Sequenzen ständig wiederholt, ist nur schwer verdaulich. Die gezeigte Gewalt geht allerdings nie über das mittlerweile gewohnte Maß hinaus. Durch die bedrückende und unausweichliche Lage der Hauptfiguren, durch die beklemmende Atmosphäre, wirkt sie hier aber viel stärker auf die Zuschauer*innen als in mehr exploitativ gefilmten Werken dieser Spielart. Dies liegt auch daran, dass Anna und Lucie keine eindimensionalen Horroropfer darstellen, sondern komplexe Figuren mit denen wir leicht, wenn auch nicht konfliktlos sympathisieren können
.
Obwohl man dem Film klar attestieren muss das er einen philosophischen Anspruch hat und im Versteckten bissige Gesellschaftskritik übt, sind einige Szenen enthalten, die nur schocken sollen. Hierdurch schmälert der Film leider seine Eigenständigkeit und Niveau. Dies verpasst dem Geschehen eine sehr nihilistische, destruktive Note, die so aber zumindest nicht gänzlich beabsichtigt zu sein scheint.

Technisch ist „Martyrs“ gekonntes Kino. Gute Kulissen, großartiges Make-Up und eine durchgehend dichte Atmosphäre, erzeugen etwas sehr Eigenes. Und das obwohl sich viel von Genrekollegen bedient wird. Der Anfang erinnert durch seine ungestüme Art stark an Ajas „High Tension“ (2003). Danach ähnelt der Alptraum sehr den Geschehnissen von „Inside“ bis man sich ähnlich ausgeliefert fühlt wie bei Noés „Irreversible“ (2002) und das Ende hat Anleihen von „Taxidermia“ (2006). Auch die finale Widmung an Dario Argento (Die neunschwänzige Katze, 1971) kommt wohl nicht von ungfähr. Trotz all dem bleibt „Martyrs“ stets originell und ein einmaliges Seherlebnis.

Hätte man noch auf die eine oder andere Gewalt Darstellung verzichtet und dafür die psychologische Folter etwas ausgebaut, wäre der Film noch etwas ernstzunehmender und könnte wohl wirklich als Meisterwerk bezeichnet werden. So ist „Martyrs“ aber immer noch ein großartiger und durchdachter Psychohorror der über die nächsten Jahre noch viele Fans gewinnen wird. Bevor man jedoch auf Start drückt sollte man sich darüber im klaren sein das man keinen leichten Film vor sich hat und ein gestärkter Magen und Kopf klar von Vorteil ist. 

8 von 10 Rasierklingen