Gyo – Der Tod aus dem Meer Deluxe (Carlsen Manga)
Tadashi darf in den Ferien mit seiner Freundin Kaori im Ferienhaus seines Onkels wohnen. Zuerst scheint auch alles ganz schön zu sein und so genießen sie die Zeit auf Okinawa. Als sie dann beim tauchen im Meer beinahe von einem Hai attackiert werden ist für Kaori der Spaß vorbei. Außerdem stört sie der muffige Meeresgestank. Schließlich streiten sich die Beiden, aber auch Tadashi muss zugeben das mit dem Meer etwas nicht stimmt, der Gestank wird nämlich zunehmend stärker. Und dann passiert das unvorstellbare: Die Fische und andere Meeresbewohner beginnen das Meer zu verlassen. Wie durch ein Wunder scheinen ihnen rasiermesserscharfe Beine gewachsen zu sein. Immer mehr dieser Wesen gelangen an Land darunter nicht nur kleine Fische, sondern auch große Haie und anderes tödliches Getier. Letztlich gelingt den Beiden die Flucht zurück zur Hauptstadt. Doch auch dort müssen sie bald feststellen das der Gestank immer noch in ihren Nasen ist. Außerdem scheint Tadashis Onkel mehr über die Fischplage zu wissen, die irgendwie mit seiner Familiengeschichte verbunden zu sein scheint.
Junji Itō ist ein japanischer Mangaka, den man problemlos mit einer Reihe von Superlativen beschreiben könnte. Worüber sich aber wohl alle einig sein dürften ist, dass es wohl keine anderen japanischen Horror Autor*innen und Zeichner*innen gibt die*der das Genre so sehr in eigene Formen gebogen hat wie er. Er ist ein Meister darin Schockmomente in das Umblättern einer Mangaseite zu platzieren, er beherrscht psychischen Horror und Gesellschaftskritik ist ebenso zu finden wie ekelhaftester Body Horror oder manchmal auch total Nonsens.
„Gyo – Der Tod aus dem Meer“ ist wohl neben „Tomie“ und „Uzumaki“ sein international bekanntestes Werk und gehört in die Kategorie Body Horror gepaart mit einem Nonsens Plot, der sich allerdings selbst so ernst nimmt, sodass es letztlich die Leser*innen auch tun müssen. Itō nimmt hier die von H. P. Lovecraft viel zitierte Angst vor dem was tief im Wasser kreucht und planscht und kombiniert es mit dem Horror japanischer Kriegsverbrechen. Letztlich kommt dabei absolut nicht das dabei heraus, was ihr euch bei dieser Beschreibung darunter vorstellt. Das ganze beginnt ähnlich merkwürdig und verkorkst wie viele seiner Kurzgeschichten, endet dann aber mit monströsen Zirkussen, dem Untergang der Menschheit und den größten Püpsen aller Zeiten.
All das ist auf erschreckende weise komisch und komisch erschreckend. Rational betrachtet ist vieles an dem Plot und des gezeigten Horrors total albern. Schlechteren Autor*innen würde man diese völlig krude Geschichte wohl nicht verzeihen, doch Itō schafft es viele der offenkundig albernen Momente so zu verpacken, dass der Horror sich stets durchsetzen kann. Somit erfordert dieser Manga, dass ihr euch auf das Geschehen einlassen müsst. Sonst funktioniert es nicht, macht ihr jedoch den wilden Ritt einfach mit, werdet ihr mit einem einmalig surrealen Abenteuer belohnt. Zwar gelangt „Gyo“ dabei nie an die Qualität von „Uzumaki“ und vielen von Itōs Kurzgeschichten heran, letztlich gibt er mit dieser Geschichte dennoch einigen ausgelutschten Lovecraft Klischees neues Leben und macht daraus etwas völlig neues.
Itōs Zeichenstil orientiert sich starke an den des alten japanische Horrormeisters Kazuo Umezu. Durch viele, aus dem europäischen Comic entliehenen Elemente, kreiert er jedoch auch hier einen eigenen, unverwechselbaren Stil. Die Gewaltdarstellung ist drastisch, driftet aber nie in Splatter ab. Stattdessen nutzt er quälend detailliert dargestellten Body Horror, der durchaus unterbewusste Ängste bedient und somit durchgängig ein unheimliches Gefühl aufrecht erhalten kann. Die Designs der verschiedenen Kreaturen sind erschreckend grausam, sind aber immer gerade soweit von typischen Horrortropes entfernt, dass es immer doch etwas befremdlicher wirkt als die gewohnte Genre kost.
Die Deluxe Ausgabe hat neben der kompletten „Gyo“ Geschichte noch zwei Bonusgeschichten zu bieten. „Der Stützpfeiler“ ist eine vierseitige Gesellschaftssatire in der ein Familienvater lieber stirbt als Schaden an dem eben erst abbezahlten Haus zu riskieren. Noch besser ist jedoch „Der Spuk in der Amigara-Spalte“. Eine meiner liebsten Kurzgeschichten von Itō. Darin geht es um mysteriöse Löcher die bei einem Erdbeben freigelegt wurden und die auf Menschen eine unerklärliche Faszination ausübt. Allein dafür lohnt sich dieser tolle Band schon.
8,5 von 10 pupsende Fische