Deranged (1974) [Wicked Vision]
Ezra Cobb (Roberts Blossom) ist ein
verschrobener Typ, der gemeinsam mit seiner bettlägerigen Mutter
(Cosette Lee) in einer heruntergekommenen Farm in Plainsfield lebt.
Da Ezra von seiner Mutter immer eingeredet wurde, dass Fremde –
insbesondere Frauen – nur schlechtes wollen, ist er nach ihrem Tod
noch isolierter als zuvor. Ohne seine Mutter kann er nicht mehr leben
und so beschließt er, sie aus dem Grab zu holen. Mit der Zeit verwest
sie ihm dann jedoch zu stark und er möchte sie ein wenig restaurieren. Er sucht nach Gräbern kürzlich verschiedener alter Damen
und fügt sie seiner Kollektion hinzu. Bald schon ist er nicht mehr
allein und auch seine Mutter hat immer Gesellschaft. Dabei bleibt es
allerdings nicht, denn Ezra sehnt sich nach frischerem Material für
seine Werkbank und so beschließt er nicht mehr Gräber heimzusuchen, sondern selbst Frauen das Leben zu nehmen.
Als Polizisten am 17. November 1957 auf
der Suche nach der, am Vortag ermordeten, 58-jährigen
Ladenbesitzerin Bernice Worden das Farmhaus von Edward Theodore Gein
in Plainfield, Wisconsin durchsuchten, entdeckten sie ein einmaliges
Horrorszenario. Ed Gein, der sogenannte „Butcher of Plainfield“,
hatte seit dem Tod seiner Mutter ihr Zimmer verriegelt und lebte
selbst nur noch im Nebenraum, den er zu einer makaberen Werkstatt
umgebaut hatte. Während die Ermittelnden die Leiche von Bernice in
einer Scheune fanden, ausgeweidet wie ein Reh, fand man im Haus
Leichenteile von mindestens 15 verschiedenen Frauen. Darunter fand
sich unter anderem die Leiche der Gastwirtin Mary Hogan wieder, die
Gein drei Jahre zuvor tötete. Weitere Morde konnten ihm nicht
nachgewiesen werden. Er gab allerdings zu, dass er wohl bis zu
vierzig mal Nachts auf drei der Friedhöfe der Umgebung eingebrochen
ist um verschiedene Leichenteile zu stehlen. Trotzdem konnten die
meisten Körperteile keinen Personen zugeordnet werden. Gein kann
somit durchaus für weitere Morde verantwortlich gewesen sein.
Außerdem verstarb Ed's älterer Bruder Henry unter ungeklärten
Umständen, die niemals aufgeklärt wurden. Henry könnte Ed's
erstes Opfer gewesen sein.
Ed Gein stahl Leichenteile um sich aus
ihnen Dinge wie Masken oder sogar einen Ganzkörperanzug aus
Frauenhaut zu schneidern. Auch Lampenschirme bespannte er mit Haut,
er fertigte einen Gürtel aus Nippeln an und aus Lippen wurde eine
Kordel für Vorhänge. Nur seine Mutter, wie es die Regisseure Jeff
Gillen (Children Shouldn't Play with Dead Things, 1972) und Alan
Ormsby (Dead of Night, 1974) hier zeigen, holte er nie zurück aus dem
Grab. Dennoch ist es eines der Gerüchte um Ed Gein, die sich bei der
damals noch schlecht informierten Allgemeinheit am besten halten
konnte. Vermutlich wurde dieser Irrglaube manifestiert durch Robert
Blochs Roman „Psycho“, der schließlich 1960 durch Alfred
Hitchcock verfilmt und die auf Gein basierte Geschichte zur
Weltberühmtheit verhalf.
Dennoch war „Psycho“ nur der Anfang
für die Popkulturelle Ausschlachtung des Gein Falles. Als bekannte
filmische Adaptionen des Geschehens folgten in den Siebzigern der
hier besprochene Film „Deranged“ ebenfalls im Jahre 1974 erschien
Tobe Hoopers „Blutgericht in Texas“. Spätestens seit diesen beiden Filmen sind Geins Taten ein fester und nicht mehr
wegzudenkender Bestandteil unserer Kulturindustrie. Seitdem war Ed
Gein Vorlage für Charaktere in Comics, Manga und Anime, Bands
benannten sich nach ihm oder erzählten in Liedern von seinen Taten,
Rob Zombie tat dies und ließ sich in seinen Filmen von ihm
beeinflussen. Auch das/der Buch/Film „Das Schweigen der Lämmer“
(1991) wären ohne Ed Geins Einfluss so nicht entstanden, ebenso wie
die deutschen Splatterklassiker „Nekromantik“ 1&2 von Jörg
Buttgereit. Auch wenn sich über die Jahrzehnte viele Filme mit Gein
befassten, so kam keiner der Filme der Realität so nahe wie
„Deranged“.
„Deranged“ eröffnet mit der
Nachricht, dass alles, was wir sehen werden, der Realität entspricht,
nur die Namen seien geändert. Um diese True Crime Atmosphäre noch
zu verstärken taucht Tom Simms auf, ein von Leslie Carlson
(Videodrome, 1983) gespielter Reporter. Allerdings fungiert er nicht
nur als Erzähler des Films, sondern taucht immer wieder physisch an
den Drehorten auf. Hierdurch wird gleich zu Beginn eine sehr
verworrene Atmosphäre geschaffen. Der Film versichert die
Zuschauer*innen über seine reale Natur, was der Reporter noch
verstärken soll. Dieser entwickelt aber eine gegenteilige Wirken, da
zuerst seine reißerische, zutiefst exploitative Narrative dem ganzen
sofort seine Ernsthaftigkeit nimmt und zum Anderen macht seine bloße
Existenz uns eines klar: Wir schauen einen Film, keine Angst, das
hier ist nicht echt. Somit erzeugt der Versuch der realeren
Darstellung vor allem eine klare Trennung zwischen Film und Echtheit,
was durchaus dem Horror hier schaden kann.
Daraufhin führt der Film Ezra und
seine, bald schon nicht mehr lebende, Mutter ein. Schlagartig wird
der Film dann doch wieder stimmig. Das Studioset ist vollkommen
verdreckt, erbärmlich eingerichtet. Noch ist hier kein Mord
geschehen, hier gibt es keine Leichenteile und trotzdem gehört diese
Szene, noch vor dem Tod der Mutter, zu den bedrückensten des
gesamten Filmes. So stark ist die Szene vor allem durch die
niederschmetternde Authentizität mit der Roberts Blossom (Christine,
1983) seine Figur spielt. Ezra wirkt immer auf eine unheimliche Art
bedrohlich, zugleich aber auch sehr verletzlich. Es wird deutlich, dass
er einen Menschen spielt, der durch schreckliche familiäre Umstände
zu dem geworden ist, was er ist, aber ohne zu beschönigen, was seine
Rolle anrichtet. Ein weiterer Pluspunkt für die Atmosphäre des
Films, wenn wohl vermutlich nicht beabsichtigt, ist seine
handwerklich schwache Umsetzung. Die Kameraarbeit ist sehr simpel und
wenig zielgerichtet und vor allem die Beleuchtung wirkt dauerhaft
improvisiert und nie gewollt. Beides bereichert allerdings den
Realismus des Films.
Dann tritt der Tod der Mutter ein und
Ezra wird zum Leichenräuber. Hier sehen wir viele Effektarbeiten des
noch jungen Tom Savini (Freitag, der 13., 1980). Die Effekte hier
sind noch sehr einfach gehalten und vor allem das künstliche Blut
hat den Sprung ins HD Zeitalter nur schlecht vertragen. Aber auch
wenn die Leichenteile nur wenig mit den meisterhaften Effekten gemein
haben, die Savini in den folgenden Jahren erschaffen sollte, so
schafft er es doch immer zu ekeln. Und hier gelingt „Deranged“
etwas seltenes. Ich weiß nicht, ob es an der pseudorealistischen
Aufmachung, der einfachen Kameraarbeit oder dem bloßen Fakt liegt,
zu wissen wie vieles davon wirklich so geschehen ist, doch gerade der
erste Akt von „Deranged“ gehört, auch nach den vielen Jahren, in
denen ich auch die schlimmsten Splatterfilme und den obskursten
Horror konsumiert habe, zu den wenigen filmischen Erzeugnissen, die es
hinbekommen, mir ein flaues Gefühl im Magen zu erzeugen.
Der Rest des Films kann dann aber
dieses Niveau leider nicht mehr halten. Der Mittelteil langweilt mit einigen sehr nervigen Szenen, deren Gehalt gegen null geht. Vor
allem mit anzusehen wie Ezra während einer Seance mit einer alten
Witwe anbandelt, die glaubt ihr verstorbener Mann würde ihr raten, was mit
dem kauzigen Typen anzufangen, ist vollkommen deplatziert. Ich bin mir
nicht mal sicher, was die Szene soll. Vielleicht ist es witzig
gemeint? Eben mit dieser Art von Slapstick geht es nämlich weiter,
wenn Ezra sich an die Gastwirtin heranmacht und sich dabei betrinkt.
Erst wenn wir die beiden, vermutlich humoristisch gedachten Eskapaden
überstanden haben, geht der Film wirklich weiter. Bei dem Mord an der
Gastwirtin erinnert einiges an eine handwerklich schlechtere Variante
von Hoopers Dinner Szene im Kettensägen Massaker. Und auch das
Finale von „Deranged“ hat zwar einige etwas blöde Momente, kann
aber teilzeitig gut gruseln.
Zwar ist dieser Film wohl bis heute am
nächsten an dem, was wirklich geschah, dennoch eignet sich „Deranged“
wirklich nur für eingefleischte Genrefans. Ich persönlich würde
das Kettensägen Massaker jederzeit den Morden von Ezra vorziehen.
Dennoch hat auch „Deranged“ einige gute Ansätze und kann vor
allem durch den wunderbaren Roberts Blossom einige Punkte sammeln.
Der Film ist bei Wicked Vision als
Mediabook 2-Disc Collectors Edition erschienen. Das 24-seitige
Booklet enthält ein Essay von Christoph N. Kellerbach. Auf der
Blu-ray befindet sich der Film in einer schön restaurierten,
ungeschnittenen Fassung. Leider fällt die deutsche TV-Synchro
ziemlich negativ auf, weshalb ich den Originalton sehr empfehlen
würde. Außerdem bekommt ihr zwei weitere Tonspuren. Das eine ist
ein Audiokommentar mit Jörg Buttgereit und Dr. Gerd Naumann. Im
Anderen sind Tom Savini und Calum Waddell zu hören. Dazu gibt es
einige Extras. Das Vorwort zum Film stammt von Jörg Buttgereit, der
als Kurator dieser Veröffentlichung fungiert. Auf euch warten ein
Interview mit dem Produzenten Tom Karr, ein Making-of, „The Ed Gein
Story“: Producer Tom Karr on Location, „A Blossoming Brilliance“:
Scott Spiegel über „Deranged“, eine True-Crime Doku über Ed
Gein, ein Blick hinter die Kulissen des Pseudosequels „Creep“,
Ausschnitt aus Jörg Buttgereits Theaterstück „Kannibale und
Liebe“, Buttgereits Kurzfilm „Ein Moment der Stille am Grab von
Ed Gein“, einige TV-Spots und Trailer zu „Deranged“, die
Trailer zu zu den Nekromantik Filmen und „Kannibale und Liebe“,
eine Bildergalerie und eine Episode Trailer From Hell. Also wieder
eine große Fülle an Extras, die einen sehr guten Eindruck in die
Entstehung und das Erbe des Films vermitteln.