Freitag, 2. August 2019

Deranged (1974) [Wicked Vision]


Deranged (1974) [Wicked Vision]

Ezra Cobb (Roberts Blossom) ist ein verschrobener Typ, der gemeinsam mit seiner bettlägerigen Mutter (Cosette Lee) in einer heruntergekommenen Farm in Plainsfield lebt. Da Ezra von seiner Mutter immer eingeredet wurde, dass Fremde – insbesondere Frauen – nur schlechtes wollen, ist er nach ihrem Tod noch isolierter als zuvor. Ohne seine Mutter kann er nicht mehr leben und so beschließt er, sie aus dem Grab zu holen. Mit der Zeit verwest sie ihm dann jedoch zu stark und er möchte sie ein wenig restaurieren. Er sucht nach Gräbern kürzlich verschiedener alter Damen und fügt sie seiner Kollektion hinzu. Bald schon ist er nicht mehr allein und auch seine Mutter hat immer Gesellschaft. Dabei bleibt es allerdings nicht, denn Ezra sehnt sich nach frischerem Material für seine Werkbank und so beschließt er nicht mehr Gräber heimzusuchen, sondern selbst Frauen das Leben zu nehmen.

Als Polizisten am 17. November 1957 auf der Suche nach der, am Vortag ermordeten, 58-jährigen Ladenbesitzerin Bernice Worden das Farmhaus von Edward Theodore Gein in Plainfield, Wisconsin durchsuchten, entdeckten sie ein einmaliges Horrorszenario. Ed Gein, der sogenannte „Butcher of Plainfield“, hatte seit dem Tod seiner Mutter ihr Zimmer verriegelt und lebte selbst nur noch im Nebenraum, den er zu einer makaberen Werkstatt umgebaut hatte. Während die Ermittelnden die Leiche von Bernice in einer Scheune fanden, ausgeweidet wie ein Reh, fand man im Haus Leichenteile von mindestens 15 verschiedenen Frauen. Darunter fand sich unter anderem die Leiche der Gastwirtin Mary Hogan wieder, die Gein drei Jahre zuvor tötete. Weitere Morde konnten ihm nicht nachgewiesen werden. Er gab allerdings zu, dass er wohl bis zu vierzig mal Nachts auf drei der Friedhöfe der Umgebung eingebrochen ist um verschiedene Leichenteile zu stehlen. Trotzdem konnten die meisten Körperteile keinen Personen zugeordnet werden. Gein kann somit durchaus für weitere Morde verantwortlich gewesen sein. Außerdem verstarb Ed's älterer Bruder Henry unter ungeklärten Umständen, die niemals aufgeklärt wurden. Henry könnte Ed's erstes Opfer gewesen sein.

Ed Gein stahl Leichenteile um sich aus ihnen Dinge wie Masken oder sogar einen Ganzkörperanzug aus Frauenhaut zu schneidern. Auch Lampenschirme bespannte er mit Haut, er fertigte einen Gürtel aus Nippeln an und aus Lippen wurde eine Kordel für Vorhänge. Nur seine Mutter, wie es die Regisseure Jeff Gillen (Children Shouldn't Play with Dead Things, 1972) und Alan Ormsby (Dead of Night, 1974) hier zeigen, holte er nie zurück aus dem Grab. Dennoch ist es eines der Gerüchte um Ed Gein, die sich bei der damals noch schlecht informierten Allgemeinheit am besten halten konnte. Vermutlich wurde dieser Irrglaube manifestiert durch Robert Blochs Roman „Psycho“, der schließlich 1960 durch Alfred Hitchcock verfilmt und die auf Gein basierte Geschichte zur Weltberühmtheit verhalf.

Dennoch war „Psycho“ nur der Anfang für die Popkulturelle Ausschlachtung des Gein Falles. Als bekannte filmische Adaptionen des Geschehens folgten in den Siebzigern der hier besprochene Film „Deranged“ ebenfalls im Jahre 1974 erschien Tobe Hoopers „Blutgericht in Texas“. Spätestens seit diesen beiden Filmen sind Geins Taten ein fester und nicht mehr wegzudenkender Bestandteil unserer Kulturindustrie. Seitdem war Ed Gein Vorlage für Charaktere in Comics, Manga und Anime, Bands benannten sich nach ihm oder erzählten in Liedern von seinen Taten, Rob Zombie tat dies und ließ sich in seinen Filmen von ihm beeinflussen. Auch das/der Buch/Film „Das Schweigen der Lämmer“ (1991) wären ohne Ed Geins Einfluss so nicht entstanden, ebenso wie die deutschen Splatterklassiker „Nekromantik“ 1&2 von Jörg Buttgereit. Auch wenn sich über die Jahrzehnte viele Filme mit Gein befassten, so kam keiner der Filme der Realität so nahe wie „Deranged“.

„Deranged“ eröffnet mit der Nachricht, dass alles, was wir sehen werden, der Realität entspricht, nur die Namen seien geändert. Um diese True Crime Atmosphäre noch zu verstärken taucht Tom Simms auf, ein von Leslie Carlson (Videodrome, 1983) gespielter Reporter. Allerdings fungiert er nicht nur als Erzähler des Films, sondern taucht immer wieder physisch an den Drehorten auf. Hierdurch wird gleich zu Beginn eine sehr verworrene Atmosphäre geschaffen. Der Film versichert die Zuschauer*innen über seine reale Natur, was der Reporter noch verstärken soll. Dieser entwickelt aber eine gegenteilige Wirken, da zuerst seine reißerische, zutiefst exploitative Narrative dem ganzen sofort seine Ernsthaftigkeit nimmt und zum Anderen macht seine bloße Existenz uns eines klar: Wir schauen einen Film, keine Angst, das hier ist nicht echt. Somit erzeugt der Versuch der realeren Darstellung vor allem eine klare Trennung zwischen Film und Echtheit, was durchaus dem Horror hier schaden kann.

Daraufhin führt der Film Ezra und seine, bald schon nicht mehr lebende, Mutter ein. Schlagartig wird der Film dann doch wieder stimmig. Das Studioset ist vollkommen verdreckt, erbärmlich eingerichtet. Noch ist hier kein Mord geschehen, hier gibt es keine Leichenteile und trotzdem gehört diese Szene, noch vor dem Tod der Mutter, zu den bedrückensten des gesamten Filmes. So stark ist die Szene vor allem durch die niederschmetternde Authentizität mit der Roberts Blossom (Christine, 1983) seine Figur spielt. Ezra wirkt immer auf eine unheimliche Art bedrohlich, zugleich aber auch sehr verletzlich. Es wird deutlich, dass er einen Menschen spielt, der durch schreckliche familiäre Umstände zu dem geworden ist, was er ist, aber ohne zu beschönigen, was seine Rolle anrichtet. Ein weiterer Pluspunkt für die Atmosphäre des Films, wenn wohl vermutlich nicht beabsichtigt, ist seine handwerklich schwache Umsetzung. Die Kameraarbeit ist sehr simpel und wenig zielgerichtet und vor allem die Beleuchtung wirkt dauerhaft improvisiert und nie gewollt. Beides bereichert allerdings den Realismus des Films.

Dann tritt der Tod der Mutter ein und Ezra wird zum Leichenräuber. Hier sehen wir viele Effektarbeiten des noch jungen Tom Savini (Freitag, der 13., 1980). Die Effekte hier sind noch sehr einfach gehalten und vor allem das künstliche Blut hat den Sprung ins HD Zeitalter nur schlecht vertragen. Aber auch wenn die Leichenteile nur wenig mit den meisterhaften Effekten gemein haben, die Savini in den folgenden Jahren erschaffen sollte, so schafft er es doch immer zu ekeln. Und hier gelingt „Deranged“ etwas seltenes. Ich weiß nicht, ob es an der pseudorealistischen Aufmachung, der einfachen Kameraarbeit oder dem bloßen Fakt liegt, zu wissen wie vieles davon wirklich so geschehen ist, doch gerade der erste Akt von „Deranged“ gehört, auch nach den vielen Jahren, in denen ich auch die schlimmsten Splatterfilme und den obskursten Horror konsumiert habe, zu den wenigen filmischen Erzeugnissen, die es hinbekommen, mir ein flaues Gefühl im Magen zu erzeugen.

Der Rest des Films kann dann aber dieses Niveau leider nicht mehr halten. Der Mittelteil langweilt mit einigen sehr nervigen Szenen, deren Gehalt gegen null geht. Vor allem mit anzusehen wie Ezra während einer Seance mit einer alten Witwe anbandelt, die glaubt ihr verstorbener Mann würde ihr raten, was mit dem kauzigen Typen anzufangen, ist vollkommen deplatziert. Ich bin mir nicht mal sicher, was die Szene soll. Vielleicht ist es witzig gemeint? Eben mit dieser Art von Slapstick geht es nämlich weiter, wenn Ezra sich an die Gastwirtin heranmacht und sich dabei betrinkt. Erst wenn wir die beiden, vermutlich humoristisch gedachten Eskapaden überstanden haben, geht der Film wirklich weiter. Bei dem Mord an der Gastwirtin erinnert einiges an eine handwerklich schlechtere Variante von Hoopers Dinner Szene im Kettensägen Massaker. Und auch das Finale von „Deranged“ hat zwar einige etwas blöde Momente, kann aber teilzeitig gut gruseln.

Zwar ist dieser Film wohl bis heute am nächsten an dem, was wirklich geschah, dennoch eignet sich „Deranged“ wirklich nur für eingefleischte Genrefans. Ich persönlich würde das Kettensägen Massaker jederzeit den Morden von Ezra vorziehen. Dennoch hat auch „Deranged“ einige gute Ansätze und kann vor allem durch den wunderbaren Roberts Blossom einige Punkte sammeln.

Der Film ist bei Wicked Vision als Mediabook 2-Disc Collectors Edition erschienen. Das 24-seitige Booklet enthält ein Essay von Christoph N. Kellerbach. Auf der Blu-ray befindet sich der Film in einer schön restaurierten, ungeschnittenen Fassung. Leider fällt die deutsche TV-Synchro ziemlich negativ auf, weshalb ich den Originalton sehr empfehlen würde. Außerdem bekommt ihr zwei weitere Tonspuren. Das eine ist ein Audiokommentar mit Jörg Buttgereit und Dr. Gerd Naumann. Im Anderen sind Tom Savini und Calum Waddell zu hören. Dazu gibt es einige Extras. Das Vorwort zum Film stammt von Jörg Buttgereit, der als Kurator dieser Veröffentlichung fungiert. Auf euch warten ein Interview mit dem Produzenten Tom Karr, ein Making-of, „The Ed Gein Story“: Producer Tom Karr on Location, „A Blossoming Brilliance“: Scott Spiegel über „Deranged“, eine True-Crime Doku über Ed Gein, ein Blick hinter die Kulissen des Pseudosequels „Creep“, Ausschnitt aus Jörg Buttgereits Theaterstück „Kannibale und Liebe“, Buttgereits Kurzfilm „Ein Moment der Stille am Grab von Ed Gein“, einige TV-Spots und Trailer zu „Deranged“, die Trailer zu zu den Nekromantik Filmen und „Kannibale und Liebe“, eine Bildergalerie und eine Episode Trailer From Hell. Also wieder eine große Fülle an Extras, die einen sehr guten Eindruck in die Entstehung und das Erbe des Films vermitteln.