Der
Mann meines Bruders #1 - Die Invasion des Fremden (Carlsen Manga)
Schon
als Teenager haben die Zwillingsbrüder Yaichi und Ryoji ihre Eltern
verloren. Bis zu diesem Zeitpunkt standen sie sich ziemlich nahe.
Kurz darauf verließ Ryoji Japan und wanderte nach Kanada aus. Dort
verliebte er sich in Mike und sie heirateten. Doch wieder schlägt
das Schicksal zu und Ryoji stirbt. Um mehr über das Leben seines
verstorbenen Mannes zu erfahren reist er nach Japan um seinen
Schwager Yaichi kennenzulernen, der seine kleine Tochter Kana alleine
aufzieht. Durch den Besuch von Mike muss Yaichi sich erstmals mit der
Homosexualität seines Bruders befassen, was er bisher völlig
verdrängt hatte. Selbst Kana hat er nicht mal erzählt, dass sie
überhaupt einen Onkel hatte. So wie Yaichis Freundschaft zu Mike
wächst, so sehr muss er auch seine Vorurteile und Ablehnung
hinterfragen.
Mangaka
Gengoroh Tagame ist schon seit den frühen Achtzigerjahren durch
seine Gay Erotic Manga bekannt. In diesem Bereich ist er wohl der
einflussreichste Künstler des BDSM Subgenres. Breitere
internationale Aufmerksamkeit erreichte er allerdings erst 2014,
mit seiner, in vier Bänden abgeschlossenen, Mangareihe „Otōto no
Otto“. Unter dem Titel „Der Mann meines Bruders“ erscheint diese
Reihe dank des Carlsen Verlags nun auch in deutscher Sprache.
Der
Manga erzählt die Geschichte aus Yaichis Sicht, was ermöglicht, seine innere Unsicherheit zu thematisieren. Spannend daran ist, dass
Yaichi nicht einfach ein konservativer Mensch ist der grundsätzlich
etwas gegen Homosexuelle hat. Viel mehr stellt er einen modernen, japanischen Mann dar, der eigentlich nur wenig an alten
Rollenbildern hängt und bei uns eher als linksliberal anzusehen
wäre. Anstatt also sehr bemüht zu versuchen einen Rechten zu
erklären warum Schwule keine schlechteren Menschen sind, hat sich
Tagame dafür entschieden eine spannendere Reflektion zu erzeugen und
spiegelt in seiner Geschichte viel mehr die Vorurteile mit denen
Menschen nicht hetero Menschen konfrontieren. Dadurch bleibt die
Erzählung weniger unglaubwürdig konstruiert als andere Geschichten
dieser Art.
Interessant
ist natürlich auch, eine solche Geschichte zu lesen, die in Japan
spielt. Bis heute ist die Eheschließung von gleichgeschlechtlichen
Partner*innen immer noch illegal. Das Sprechen über dieses Thema
daher also auch revolutionärer als in anderen Ländern, in denen dies
schon seit teilweise vielen Jahren möglich ist. Angenehm ist darüber
hinaus auch, dass der Manga sich nicht zu sehr auf Homosexualität
und Homofeindlichkeit konzentriert. Zwar handelt es sich dabei um die
Kernthemen, jedoch wird nicht jede Szene darauf ausgelegt – auch
ein Problem, das Geschichten dieser Art oftmals haben. Es geht eben
nicht nur darum Yaichi beizubringen, wie falsch all seine Vorurteile
und seine Feindlichkeit ist, es bleibt genauso viel Raum für eine
rührende und feinfühlig erzählte Familiengeschichte, deren
Mittelpunkt mehrere Tragödien einnehmen, die alle Beteiligten
seelisch schwer verletzt zurückließen. Aufgelockert wird die
Stimmung dabei durch Witzeleien, über die Unterschiede zwischen der
nordamerikanischen und japanischen Kultur. Mehr jedoch durch die
kleine Kana, die mit ihrer kindlichen Offenheit oftmals als
Vermittlerin zwischen ihrem Vater und Mike, zugleich auch zwischen
der Botschaft des Manga und den konservativeren Leser*innen fungiert.
Das
Artwork ist für Tagame merkwürdig typisch. Merkwürdig, weil die
Art wie er seine großen, etwas fülligere, muskulösen Charaktere
darstellt, sehr gleich ist, wie in seinen erotischen Geschichten, nur
eben vollkommen familientauglich. Die Backgrounds sind aufs Nötigste
beschränkt, dafür legt er großen Wert auf die Gesichtsmimik seiner
Figuren, dazu kommen ein paar lustige Ideen mit Tagträumereien und
es wird manchmal ein wenig Slapstick Humor geboten, der sich vor
allem in dem einen oder anderen ulkigen Gesichtsausdruck
wiederfindet.
Überraschend
kurzweilig, lustig und ebenso feinfühlig widmet sich Tagame gleich
mehreren schweren Themen und schafft es dabei nicht nur zu
unterhalten, sondern bringt dabei auch seine Botschaft intelligent
rüber.
8,5
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