
Haus
der Todsünden (1975) [Wicked Vision]
Wie
schon so oft zuvor hat Jenny Welch (Susan Penhaligon) Probleme mit
ihrem Freund Terry Waytt (Stewart Bevan). Beratung sucht sie bei dem
Pastor der örtlichen Kirche. Doch anstatt der verunsicherten jungen
Frau Beistand zu leisten, fragt Xavier Meldrum (Anthony Sharp) sie
nach ihrem Sexleben aus und bringt sie dazu zu verraten, dass sie vor
kurzem eine Abtreibung vorgenommen hat. Verängstigt geht sie wieder
nach Haus, stets in dem Glauben von einer mysteriösen Person
verfolgt zu werden. Kurz darauf beginnt der Pastor, sie mit einer
Tonaufnahme ihrer Beichte zu erpressen und den Männern in ihrer
Umgebung passieren bald unheimliche Unfälle. Obwohl alles darauf
hinweist, dass es Meldrum ist, der Jenny nachstellt und auch ihren
Freunden Schlimmes antut, will ihr niemand glauben, dass der
kirchliche Mann in Wahrheit ein von Lust getriebener Gewalttäter
ist.
Seine
ersten Schritte im Filmgeschäft machte Regisseur, Produzent und
Autor Pete Walker in den Sechzigerjahren mit einigen
Erotikkurzfilmchen. Weiter ging es für ihn Anfang der Siebziger mit
seinen ersten abendfüllenden Regiearbeiten, allesamt Sexklamotten
wie zum Beispiel „Der Porno-Graf von Schweden“ (1969). Heute ist
Walker zwar noch immer nicht beschämt von seinen frühen Arbeiten,
würde aber niemals verheimlichen, dass diese Filme für ihn
lediglich dazu dienten, einen Fuß ins Geschäft zu bekommen. Da seine
Schmuddelkomödien dann auch eine internationale Vermarktung
erreichten, bekam er ein paar Jahre später die Chance zu machen was
er wollte. Die nächste und letzte Welle seines Schaffens waren die von ihm so betitelten Terrorfilme. Angefangen mit dem 1971
veröffentlichten „Schrei nach Leben“ baute Walker sich vor und
hinter der Kamera ein kleines Team auf, auf das er sich bei vielen
seiner nächsten Projekte verlassen konnte.
So
arbeitete Walker zum Beispiel auch schon vor „Haus der Todsünden“
an zwei weiteren Skripten, „Das Haus der Peitschen“ (1974) und
„Frightmare - Alptraum“ (1974), des Autoren David McGillivray.
Walkers wohl international bekanntester Film „Das Haus der
Peitschen“ war zugleich auch der erste Film in dem er Sheila Keith
(Ballet Shoes, 1975) auftreten lies. Auch andere Darsteller*innen aus
dem sündigen Haus wie zum Beispiel Stephanie Beacham (Dracula jagt
Mini-Mädchen, 1972) kehrten später zu Walker zurück. Genauso
trafen sich hinter den Kameras alte Bekannte wieder. Die musikalische
Untermalung stammt vom grandiosen Stanley Myers, bekannt vor allem
als Composer des Soundtracks von „Die durch die Hölle gehen“
(1978). Art Director war erneut Chris Burke (Amok, 1976).
„Haus
der Todsünden“ kann manchmal ein wenig unscheinbar und trocken
wirken. Teils nehmen die nicht immer prägnanten Dialoge zu viel Raum
ein, vor allem, wenn sie sich etwas zu sehr im Kreis drehen oder
Hauptdarstellerin Susan Penhaligon (Patrick, 1978) erneut kein so
wirklich überzeugendes Take hinbekommt. Störend sind mitunter
ebenso nicht zu Ende gebrachte Szenen, die teilweise sogar vergessen,
dass halb totgeschlagene Figuren noch nebenan auf dem Boden liegen.
Sollte man sich also an Logiklücken oder inhaltlichen Ungereimtheiten
stören, wird „Haus der Todsünden“ wohl nicht euer
Lieblingsfilm.
Wir
hingegen können einem spleenigen Low Budget Horrorthriller natürlich
nur kurz böse sein und anstatt uns zu sehr an seinen Mängeln
festzuhalten, schauen wir lieber auf das, was gelungen ist, und
letztlich wird deutlich: Hier ist genug Substanz für einen
unterhaltsamen Abend und auch einige kritische Töne werden
angeschlagen. Somit behält der Film auch durch seine
religionskritische Haltung bis heute eine gewisse Relevanz.
Star
des Films ist ohne Frage Anthony Sharp. Sharp war ein gut
ausgebildeter britischer Charakterdarsteller, der sich nie zu schade
war, eine kleine Rolle in einem Film wie „Wer hat unseren
Dinosaurier geklaut?“ (1975) zu spielen. Seine lange
                          Karriere, die mit seinem Theaterdebüt im Jahre
                          1938 begann, bescherte ihm vor allem unzählige
                          Credits in britischen Sitcoms, in denen er
                          edle Aristokraten und den klassischen
                          „Straight Man“ mimte. Am Ende seiner Karriere
durfte er aber nicht nur auf Theater, Fernsehen und Genrearbeiten
zurückblicken, sondern auch auf zwei Auftritte unter der Regie von
Stanley Kubrick (Ohrwerk Orange, 1971 & Barry Lyndon, 1975) und
einen bei James Bond (James Bond 007 - Sag niemals nie, 1983). Der
von Lust getriebene Pastor aus „Haus der Todsünden“ ist eine
eher untypische Rolle für ihn, die er aber wunderbar und glaubhaft
ausfüllt. Seine
                                                          Figur ist
                                                          teilweise ein
                                                          wenig campy
                                                          angelegt,
                                                          trotzdem hat
                                                          es was
                                                          aufregend
                                                          Erhabenes,
                                                          wenn er wie
                                                          Dracula sein
                                                          dunkles
                                                          Pfarrercape
                                                          zurück
                                                          streicht, die
                                                          Giallo
                                                          Mörderhandschuhe
                                                          anzieht und
                                                          dann sein
                                                          silbernes
                                                          Kreuz - nicht
                                                          als
                                                          Hoffnungsschimmer
                                                          der Errettung,
                                                          sondern als
                                                          Hiobsbotschaft
                                                          - im Dunklen
                                                          aufblitzen
                                                          lässt, kurz
                                                          bevor er
                                                          seinen Opfern
                                                          bestialisch
                                                          und durch
                                                          stumpfe Gewalt
                                                          den Tod
                                                          bringt. Dabei wird er zugleich zur Antithese von Lees
Verkörperung von Dracula und Peter Cushing als dessen Widersacher
Professor van Helsing, nur um letztendlich eine Mischung aus Beiden
zu werden. Allein das würde schon einen guten Bösewicht abgeben,
dazu kommt jedoch noch wie glaubhaft er zugleich auch einen Mann
darstellen kann, der selbst das Opfer der starren und
lebensfeindlichen Regeln der katholischen Kirche geworden ist.
An
dieser Stelle spricht Walker sehr offen den Machtmissbrauch der
Kirche und genauso die Ursachen von sexuellem Missbrauch innerhalb
der Kirche an. Selbst das Zölibat wird nicht nur im Subtext, sondern
auch narrativ durch den jungen, modernen Vikar Bernard, gespielt von
Norman Eshley (Ein Mann im Haus, 1974) , angegriffen. Spannend für
einen Genrefilm dieser Art ist dabei vor allem, wie wenig plump die
Kritik an der Kirche vorgenommen wird, wodurch die Kritik gleich sehr
viel weniger reißerisch wirkt. Trotzdem sind einige blasphemische
Schockeffekte offensichtlich dazu da, dem Film etwas verruchtes zu
verleihen und sicherlich nicht politisch zu verstehen. Durch die
bloße, nicht exploitative, Erwähnung von Themen wie sexuellem
Missbrauch, dem Terror in Nordirland (Von dem Walker indirekt beim
Kinorelease von „Das Haus der Peitschen“ betroffen war) und
Abtreibung wird deutlich, dass Walker vielleicht kein höchst
politischer Künstler war, aber durchaus sein politisches Bewusstsein
immer einen offensichtlichen Einfluss auf seine Kunst hatte.
Eine
ähnlich starke Performance wie Sharp legt Sheila Keith hin. Keith
ist in vielen Horrorfilmen von Walker anzutreffen und spielt dabei
meist herrlich skurrile und bösartige Figuren. Hier hat es sie in
die Rolle der verschmähten Haushälterin Miss Brabazon verschlagen.
Mit entstelltem Auge und abgedunkeltem Brillenglas stellt sie
irgendwas zwischen Exploitation Schurkin und James Bond Erzfeindin
dar. Versprüht viel B-Movie Charme, wirkt dabei jedoch nicht trashig
sondern wirklich beängstigend. Wunderbar gespielt von Keith, die
jede Szene gekonnt an sich reißen kann.
Dagegen
verblassen die meisten anderen Rollen leider ein wenig und obwohl der
Film handwerklich solide gemacht ist, haben viele Szenen nicht so viel Atmosphäre abbekommen wie es wünschenswert wäre. Dafür hat der
Film insgesamt diesen düsteren etwas unwirklichen Look, den die
meisten Filme von Pete Walker haben. Natürlich
                                                          ist „Haus der
                                                          Todsünden“ ein
                                                          Film, der
                                                          einige Mängel
                                                          aufweist,
                                                          letztlich ist
                                                          es aber ein
                                                          schönes
                                                          Genrestück,
                                                          das
                                                          eigenständig
                                                          und besonders
                                                          genug ist -
                                                          nicht zuletzt
                                                          wegen der
                                                          wirklich
                                                          starken
                                                          Antagonisten*innen
                                                          - um zu einem
                                                          kleinen
                                                          Horrorgeheimtipp
                                                          zu avancieren
                                                          und somit Pete
                                                          Walker ein
                                                          wenig neue und
                                                          verdiente
                                                          Bekanntheit zu
                                                          verschaffen.
Jetzt,
nach über 40 Jahren, ist „Haus der Todsünden“ endlich erstmals
in Deutschland auf DVD und Blu-ray zu erstehen. Der Streifen kommt
dank Wicked Vision ungekürzt als zweiter Teil der Pete Walker
Collection als Mediabook zu uns. Neben DVD und Blu-ray bekommt ihr
hier ein 24-seitiges Booklet mit einem Essay von Jonathan Rigby.
Rigby ist dann auch zusammen mit dem Regisseur Pete Walker in einem
Audiokommentar zu hören. Ein weiterer Audiokommentar wird hier von
Dr. Rolf Giesen, Dr. Gerd Naumann und Matthias Künnecke präsentiert.
Weitere Extras umfassen neben den obligatorischen Bildergalerien und
Trailern, das Featurette „Sheila Keith – Eine nette alte Frau?“,
ein Interview mit Pete Walker & „House of Walker“: David
McGillivray & Kim Newman über „Das Haus der Todsünden“. Das Bild der Blu-ray ist ausgezeichnet, der Ton hat einige sehr kleine Makel, allerdings nichts, was irgendwie so störend wäre, dass es den Genuss des Filmes schmälern könnte.
6,5
von 10 explodierende Kaffeekannen