Samstag, 11. Mai 2019

Haus der Todsünden (1975) [Wicked Vision]


Haus der Todsünden (1975) [Wicked Vision]

Wie schon so oft zuvor hat Jenny Welch (Susan Penhaligon) Probleme mit ihrem Freund Terry Waytt (Stewart Bevan). Beratung sucht sie bei dem Pastor der örtlichen Kirche. Doch anstatt der verunsicherten jungen Frau Beistand zu leisten, fragt Xavier Meldrum (Anthony Sharp) sie nach ihrem Sexleben aus und bringt sie dazu zu verraten, dass sie vor kurzem eine Abtreibung vorgenommen hat. Verängstigt geht sie wieder nach Haus, stets in dem Glauben von einer mysteriösen Person verfolgt zu werden. Kurz darauf beginnt der Pastor, sie mit einer Tonaufnahme ihrer Beichte zu erpressen und den Männern in ihrer Umgebung passieren bald unheimliche Unfälle. Obwohl alles darauf hinweist, dass es Meldrum ist, der Jenny nachstellt und auch ihren Freunden Schlimmes antut, will ihr niemand glauben, dass der kirchliche Mann in Wahrheit ein von Lust getriebener Gewalttäter ist.

Seine ersten Schritte im Filmgeschäft machte Regisseur, Produzent und Autor Pete Walker in den Sechzigerjahren mit einigen Erotikkurzfilmchen. Weiter ging es für ihn Anfang der Siebziger mit seinen ersten abendfüllenden Regiearbeiten, allesamt Sexklamotten wie zum Beispiel „Der Porno-Graf von Schweden“ (1969). Heute ist Walker zwar noch immer nicht beschämt von seinen frühen Arbeiten, würde aber niemals verheimlichen, dass diese Filme für ihn lediglich dazu dienten, einen Fuß ins Geschäft zu bekommen. Da seine Schmuddelkomödien dann auch eine internationale Vermarktung erreichten, bekam er ein paar Jahre später die Chance zu machen was er wollte. Die nächste und letzte Welle seines Schaffens waren die von ihm so betitelten Terrorfilme. Angefangen mit dem 1971 veröffentlichten „Schrei nach Leben“ baute Walker sich vor und hinter der Kamera ein kleines Team auf, auf das er sich bei vielen seiner nächsten Projekte verlassen konnte.

So arbeitete Walker zum Beispiel auch schon vor „Haus der Todsünden“ an zwei weiteren Skripten, „Das Haus der Peitschen“ (1974) und „Frightmare - Alptraum“ (1974), des Autoren David McGillivray. Walkers wohl international bekanntester Film „Das Haus der Peitschen“ war zugleich auch der erste Film in dem er Sheila Keith (Ballet Shoes, 1975) auftreten lies. Auch andere Darsteller*innen aus dem sündigen Haus wie zum Beispiel Stephanie Beacham (Dracula jagt Mini-Mädchen, 1972) kehrten später zu Walker zurück. Genauso trafen sich hinter den Kameras alte Bekannte wieder. Die musikalische Untermalung stammt vom grandiosen Stanley Myers, bekannt vor allem als Composer des Soundtracks von „Die durch die Hölle gehen“ (1978). Art Director war erneut Chris Burke (Amok, 1976).

Haus der Todsünden“ kann manchmal ein wenig unscheinbar und trocken wirken. Teils nehmen die nicht immer prägnanten Dialoge zu viel Raum ein, vor allem, wenn sie sich etwas zu sehr im Kreis drehen oder Hauptdarstellerin Susan Penhaligon (Patrick, 1978) erneut kein so wirklich überzeugendes Take hinbekommt. Störend sind mitunter ebenso nicht zu Ende gebrachte Szenen, die teilweise sogar vergessen, dass halb totgeschlagene Figuren noch nebenan auf dem Boden liegen. Sollte man sich also an Logiklücken oder inhaltlichen Ungereimtheiten stören, wird „Haus der Todsünden“ wohl nicht euer Lieblingsfilm.

Wir hingegen können einem spleenigen Low Budget Horrorthriller natürlich nur kurz böse sein und anstatt uns zu sehr an seinen Mängeln festzuhalten, schauen wir lieber auf das, was gelungen ist, und letztlich wird deutlich: Hier ist genug Substanz für einen unterhaltsamen Abend und auch einige kritische Töne werden angeschlagen. Somit behält der Film auch durch seine religionskritische Haltung bis heute eine gewisse Relevanz.

Star des Films ist ohne Frage Anthony Sharp. Sharp war ein gut ausgebildeter britischer Charakterdarsteller, der sich nie zu schade war, eine kleine Rolle in einem Film wie „Wer hat unseren Dinosaurier geklaut?“ (1975) zu spielen. Seine lange Karriere, die mit seinem Theaterdebüt im Jahre 1938 begann, bescherte ihm vor allem unzählige Credits in britischen Sitcoms, in denen er edle Aristokraten und den klassischen „Straight Man“ mimte. Am Ende seiner Karriere durfte er aber nicht nur auf Theater, Fernsehen und Genrearbeiten zurückblicken, sondern auch auf zwei Auftritte unter der Regie von Stanley Kubrick (Ohrwerk Orange, 1971 & Barry Lyndon, 1975) und einen bei James Bond (James Bond 007 - Sag niemals nie, 1983). Der von Lust getriebene Pastor aus „Haus der Todsünden“ ist eine eher untypische Rolle für ihn, die er aber wunderbar und glaubhaft ausfüllt. Seine Figur ist teilweise ein wenig campy angelegt, trotzdem hat es was aufregend Erhabenes, wenn er wie Dracula sein dunkles Pfarrercape zurück streicht, die Giallo Mörderhandschuhe anzieht und dann sein silbernes Kreuz - nicht als Hoffnungsschimmer der Errettung, sondern als Hiobsbotschaft - im Dunklen aufblitzen lässt, kurz bevor er seinen Opfern bestialisch und durch stumpfe Gewalt den Tod bringt. Dabei wird er zugleich zur Antithese von Lees Verkörperung von Dracula und Peter Cushing als dessen Widersacher Professor van Helsing, nur um letztendlich eine Mischung aus Beiden zu werden. Allein das würde schon einen guten Bösewicht abgeben, dazu kommt jedoch noch wie glaubhaft er zugleich auch einen Mann darstellen kann, der selbst das Opfer der starren und lebensfeindlichen Regeln der katholischen Kirche geworden ist.

An dieser Stelle spricht Walker sehr offen den Machtmissbrauch der Kirche und genauso die Ursachen von sexuellem Missbrauch innerhalb der Kirche an. Selbst das Zölibat wird nicht nur im Subtext, sondern auch narrativ durch den jungen, modernen Vikar Bernard, gespielt von Norman Eshley (Ein Mann im Haus, 1974) , angegriffen. Spannend für einen Genrefilm dieser Art ist dabei vor allem, wie wenig plump die Kritik an der Kirche vorgenommen wird, wodurch die Kritik gleich sehr viel weniger reißerisch wirkt. Trotzdem sind einige blasphemische Schockeffekte offensichtlich dazu da, dem Film etwas verruchtes zu verleihen und sicherlich nicht politisch zu verstehen. Durch die bloße, nicht exploitative, Erwähnung von Themen wie sexuellem Missbrauch, dem Terror in Nordirland (Von dem Walker indirekt beim Kinorelease von „Das Haus der Peitschen“ betroffen war) und Abtreibung wird deutlich, dass Walker vielleicht kein höchst politischer Künstler war, aber durchaus sein politisches Bewusstsein immer einen offensichtlichen Einfluss auf seine Kunst hatte.

Eine ähnlich starke Performance wie Sharp legt Sheila Keith hin. Keith ist in vielen Horrorfilmen von Walker anzutreffen und spielt dabei meist herrlich skurrile und bösartige Figuren. Hier hat es sie in die Rolle der verschmähten Haushälterin Miss Brabazon verschlagen. Mit entstelltem Auge und abgedunkeltem Brillenglas stellt sie irgendwas zwischen Exploitation Schurkin und James Bond Erzfeindin dar. Versprüht viel B-Movie Charme, wirkt dabei jedoch nicht trashig sondern wirklich beängstigend. Wunderbar gespielt von Keith, die jede Szene gekonnt an sich reißen kann.

Dagegen verblassen die meisten anderen Rollen leider ein wenig und obwohl der Film handwerklich solide gemacht ist, haben viele Szenen nicht so viel Atmosphäre abbekommen wie es wünschenswert wäre. Dafür hat der Film insgesamt diesen düsteren etwas unwirklichen Look, den die meisten Filme von Pete Walker haben. Natürlich ist „Haus der Todsünden“ ein Film, der einige Mängel aufweist, letztlich ist es aber ein schönes Genrestück, das eigenständig und besonders genug ist - nicht zuletzt wegen der wirklich starken Antagonisten*innen - um zu einem kleinen Horrorgeheimtipp zu avancieren und somit Pete Walker ein wenig neue und verdiente Bekanntheit zu verschaffen.

Jetzt, nach über 40 Jahren, ist „Haus der Todsünden“ endlich erstmals in Deutschland auf DVD und Blu-ray zu erstehen. Der Streifen kommt dank Wicked Vision ungekürzt als zweiter Teil der Pete Walker Collection als Mediabook zu uns. Neben DVD und Blu-ray bekommt ihr hier ein 24-seitiges Booklet mit einem Essay von Jonathan Rigby. Rigby ist dann auch zusammen mit dem Regisseur Pete Walker in einem Audiokommentar zu hören. Ein weiterer Audiokommentar wird hier von Dr. Rolf Giesen, Dr. Gerd Naumann und Matthias Künnecke präsentiert. Weitere Extras umfassen neben den obligatorischen Bildergalerien und Trailern, das Featurette „Sheila Keith – Eine nette alte Frau?“, ein Interview mit Pete Walker & „House of Walker“: David McGillivray & Kim Newman über „Das Haus der Todsünden“. Das Bild der Blu-ray ist ausgezeichnet, der Ton hat einige sehr kleine Makel, allerdings nichts, was irgendwie so störend wäre, dass es den Genuss des Filmes schmälern könnte.

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