The
Devil's Backbone (2001) [Wicked Vision]
Nachdem
sein Vater im spanischen Bürgerkrieg stirbt, wird Carlos (Fernando
Tielve) von seinem Lehrer in ein versteckt abgelegenes Waisenhaus
gebracht. Geführt wird das Waisenhaus von der Rektorin Carmen
(Marisa Paredes) und dem alten Doktor Casares (Federico Luppi). Die beiden versuchen das Beste, damit Carlos sich wohl fühlt, auch wenn
es an Essen und dem Nötigsten fehlt. Größer ist jedoch die Angst,
die Faschist*innen könnten erfahren, dass in dem Waisenhaus die
Kinder linker Eltern versteckt werden. Im Haus lebt und arbeitet auch
Jaciento (Eduardo Noriega), der sie jederzeit Verraten könnte. Carlos
hat jedoch vor allem mit den anderen Kindern zu kämpfen, die ihn
zuerst gar nicht leiden können, schlimmer ist nur noch das
unerklärliche Seufzen, dass in dem Gemäuer nachts ertönt.
Als
ich 14 war, erschien mit „Blade II“ (2002) Guillermo del Toros
Fortsetzung zu einer der ersten Comicverfilmungen, die mir gefallen
konnte. Als auf diesen Film dann auch noch ein „Hellboy“ (2004)
Film folgen sollte, war klar, dass dieser Guillermo del Toro ein
dufter Typ sein muss. Seitdem habe ich alles gesehen, was er bisher
gefilmt hat, jedenfalls abgesehen von seinen frühen Kurzfilmen und
eben „The Devil's Backbone“. Letzteren konnte ich nun endlich
nachholen.
„The
Devil's Backbone“ spielt im Spanien des Jahres 1939. Unterstützt
von italienischen und deutschen Faschist*innen, stehen Francos Truppen
kurz vor dem endgültigen Sieg über die linken Kräfte der
spanischen Republik. Während del Toro ein paar Jahre später mit
„Pans Labyrinth“ (2006) Spanien also kurz nach der
Machtergreifung der Franquist*innen zeigte, spielt dieser Film –
als inoffizielle Vorgeschichte dazu – während der letzten Tage des
Bürgerkriegs. Generell ist „Pans Labyrinth“ ein guter
Referenzpunkt um „The Devil's Backbone“ zu beschreiben.
Schließlich beschreibt del Toro die beiden Filme nicht nur als seine
liebsten Werke, sondern auch als Geschwisterfilme, die sich
gegenseitig komplementieren.
Während
in „Pans Labyrinth“ eine düstere Märchenstimmung vorherrscht,
ist „The Devil's Backbone“ ein Cocktail mit noch mehr Zutaten. Im
Mittelpunkt steht ein Kriegsdrama, das sich um das Schicksal einiger
Waisenjungs dreht. Hinzu kommen jedoch auch noch Gothichorror und
leichte Westernelemente hinzu. Klingt im ersten Moment etwas sehr
wild durcheinander gemischt, funktioniert hier aber wunderbar.
Von
der ersten Sekunde an macht sich sogleich die Stärke der
Kameraarbeit bemerkbar. Die Landschaft wird wunderschön in Szene
gesetzt, jedoch nicht ohne gleichzeitig auch die Brutalität der
heißen, kargen und bergigen Landschaft zu offenbaren. Selbst in den
Szenen mit den Kindern kann die Dynamik beibehalten werden, nicht
einfach gerade wenn man mit unerfahrenen Schauspielern wie den
kleinen Jungs dreht. Wunderbar ist auch, dass del Toro den Jungs mit
der Kamera stets auf Augenhöhe begegnet. Somit nehmen wir erstens
die Kinder als vollwertige und gleichberechtigte Charaktere war und
erleben zweitens die grausamen Geschehnisse des Krieges aus der Sicht
eines Kindes. Dabei ist es gerade diese feine Mischung aus
einfühlsamer Erzählung und dennoch drastischer Darstellung des
Grauens, was del Toros Handschrift so einzigartig macht. Hier trifft
Drama, teils auch mit viel Pathos auf grausame Gewalt und beides
bekommt etwas schmerzlich süßes durch die einfließende
Schauerromantik und etwas Märchenhaftes und wird am Ende doch durch
Bezüge zu realen politischen Ereignissen wieder entzaubert. Alles, was del Toro einige Jahre später in „Pans Labyrinth“
perfektionieren konnte, hat hier seinen Anfang gefunden, wirkt aber
noch sehr viel rauer, was je nach Geschmack sicherlich positiv oder
negativ aufgefasst werden kann.
Darstellerisch
gibt es hier nichts zu kritisieren. Die Kinder machen ihren Job sehr
gut. Vor allem Fernando Tielve (Eryka's Eyes, 2014) und Íñigo
Garcés (Los lobos de Washington, 1999) machen ihre Sache toll. Meine
absoluten Highlights sind allerdings Federico Luppi (Cronos, 1993)
und Marisa Paredes (Die Haut, in der ich wohne, 2011). Es ist schade,
wie selten ältere Schauspieler*innen spannende Liebesbeziehungen
darstellen dürfen, so spannend wie ihre hier. Beide strahlen durch
ihr Alter eine gewisse Autorität aus, gleichzeitig sind es
gebrochene Menschen. Sie haben den politischen Kampf gegen den
Faschismus verloren und wissen es. Ihre letzte Art der Rebellion ist
es, sich um verlorene Kinder zu kümmern und auch das scheint ihnen
nicht mehr zu gelingen. Die Umstände haben sie zu Menschen gemacht, die essentielles verloren haben. Dies ist offen sichtbar: Carmen
fehlt ein Bein und Dr. Casares ist impotent, aber ihr Kampf hat auch
zwischenmenschlich Dinge zerstört, wie in jeder gemeinsamen Szene
der beiden offensichtlich wird. Beide Figuren werden als stark und
zerbrechlich zugleich dargestellt und ihre Schwächen sind in diesem
Fall nichts, woraus sie sich befreien können. Ein wenig Realismus,
der in Filmen Zugunste der Charakterentwicklung oftmals geopfert
wird. Einen ebenso guten Job macht Eduardo Noriega (Faszination des
Grauens, 1996), der die Rolle des Faschisten mit viel Tiefe und
Nuancen füllt. Jacinto ist ist ohne Frage der Böse der Geschichte
und für alle eine ungemein größere Gefahr als der Geist – im
Übrigen auch ein typisches del Toro Motiv: Das Monster ist meist
ein*e Verbündete*r, während die wahre Gefahr von eher unauffälligen
Menschen kommt, die einer totalitären Ideologie folgen. Anstatt ihn
jedoch als plumpen, dummen Faschisten darzustellen, macht die Figur
sehr deutlich, das dass Böse nicht immer so leicht als solches zu
erkennen ist.
Bei
den Spezialeffekten übt del Toro sich hier ein wenig in
Zurückhaltung. Das Geistermake-up besteht vor allem aus
handgemachter Maske und wird nur um einige dezente Computereffekte
ergänzt. Hinzu kommen ein paar wenige CGI Details, die aber nie als
solche auffallen. Die blutigen Szenen sind sehr gut gemacht und
wirken teils erschreckend realistisch. Die Gewalt bekommt aber bis
zum Ende hin nie etwas exploitatives und wirkt so selbst in Momenten, in denen sie es in anderen Filmen wäre, nie zur Belustigung oder
Befriedigung niederer Gefühle.
Del
Toro zeigt mit „The Devil's Backbone“ sehr eindringlich wie das
Genre des klassischen Gruselfilms es auch in der heutigen Zeit noch
schaffen kann modern zu bleiben. Durch reale politische Bezüge
bringt er die Geschichte auf eine höhere Ebene und fügt dem Schauer
wirklichen Horror und ein politisches Bewusstsein hinzu. Somit wird
dieser Film in der Lage sein, noch viele Jahrzehnte zu überleben ohne
dabei zu sehr zu altern. Zwar kommt der Film gerade wegen seines
etwas antiklimatischen dritten Aktes und ein paar nicht ganz zu Ende
gedachten Details nicht an sein späteres Werk „Pans Labyrinth“
heran, doch wem das Labyrinth gefiel, wird auch an diesem Film sehr
viel Freude und einen bewegenden Abend haben. In jedem Fall einer der
gewichtigsten phantastischen Filme der 2000er Jahre.
Wie
von Wicked Vision gewohnt, bekommt ihr den Film in einem
wunderschönen, limitierten Mediabook. Dieses enthält den Film samt
des Bonusmaterials auf einer Blu-ray Disc und selbiges getrennt auf
zwei DVDs. Dazu bekommt ihr noch ein 24-seitiges, von Tobias Hohmann
geschriebenes Booklet. Darin beschreibt er Guillermo del Toros
Karriere bis zum Dreh von „The Devil's Backbone“. Diese
Veröffentlichung enthält gleich zwei Audiokommentare. Einen
englischen mit Regisseur Guillermo del Toro und einen
deutschsprachigen mit Prof. Dr. Stiglegger & Dr. Kai Naumann.
Außerdem kommt der Film mit einem Vorwort von del Toro, einigen
geschnittenen Szenen (diese gibt es auch mit einem del Toro
Kommentar), mehrere Making-of-Dokumentationen, Featurettes zu den
Specialeffects und den Storyboards, sowie Bildergalerien, Trailer und
Teaser.
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von 10 lebendige Bomben