Berichte aus Japan – Eine Reise ins Land der Zeichen (Reprodukt)
Der italienische Comicschaffende Igort war einer der ersten westlichen Zeichner, die in Japan in der Mangaindustrie Fuß fassen konnten. Ein Einzelfall, ausgenommen von anderen Künstlern wie Alejandro Jodorowsky. Ab 1991 schuf er für den japanischen Verlag Kōdansha Serien wie die Mafiageschichte “Amore” und das kindliche Weltraumabenteuer “Yuri”. In seiner Graphic Novel “Berichte aus Japan”, berichtet der Zeichner und Autor, wie man schon vermuten könnte, von seiner Zeit in Japan, von seinen Begegnungen, seinem Alltag, den Menschen die er traf und von seiner Arbeit.
“Berichte aus Japan” ist keineswegs nur ein biographischer Comic in dem Igort seine Erlebnisse chronologisch abhandelt. Viel mehr nutzt er immer wieder persönlich erlebtes um galant von verschiedenen historischen, gesellschaftlichen, religiösen und kulturellen Eigenheiten des Landes zu erzählen. Dabei ist zu sagen, dass dieser Comic nichts mit touristischen Reiseberichten zu tun hat. Weder werden tolle Orte aufgezählt oder Sachen vorgestellt, die man in Japan “mal gemacht haben muss”. Genauso wenig versucht man uns die eigenwilligen Eigenheiten der japanischen Kultur zu erklären und diese damit vorzuführen- Stattdessen bekommen die Lesenden hier vor allem einen tiefen Einblick in die comic- beziehungsweise mangaschaffende Szene Japans. Igort stellt den Arbeitsalltag vor, erzählt von seiner Zusammenarbeit mit den japanischen Kolleg*innnen und redet dabei auch über Zusammentreffen mit künstlerischen Vorbildern wie Jiro Taniguchi (Der spazierende Mann) oder Hayao Miyazaki (Wie der Wind sich hebt), aber auch hierzulande unbekannte Künstler wie Tsuge, einer der berühmtesten Zeichner der “Erwachsenen-Manga, der Gekiga, bekommt etwas verdiente Aufmerksamkeit.
Bei seinen Erzählungen schweift er gern ab oder holt etwas weiter aus. So beschäftigt er sich mit klassischer japanischer Zeichenkunst, der Sumo-Kultur und landet letztendlich bei taoistischen Ritualen, die er damals selbst akribisch abhielt. Hier und da wird es dann sogar noch politisch, wenn er zum Beispiel einen alten japanischen Rassismus offenlegt, der immer noch vorherrscht aber nur zu gerne unter den Teppich gekehrt wird. Es geht um die “Burakiumin”, die sogenannten Bewohner der Sondergebiete. Bei den Sondergebieten handelte es sich um Ghettos von Kyoto, Osaka und anderen Städten in dem die “Würdelosen” und “nicht Menschen” genannten Personen leben mussten, die nach taoistischem Glauben unrein waren. Also alle Menschen die beruflich mit Blut in Berührung kamen, wie Schlachter, Gerber oder Totengräber. Ebenso erging es Prostituierten, Gauklern und Menschen die des Inzest oder Sex mit Tieren beschuldigt wurden. All diese Menschen war noch unter allen anderen Kasten angesehen und auch ihre Kinder konnten im Kastensystem nicht weiter aufsteigen. Noch heute existieren Meldedaten aller Nachfahren dieser Menschen und jedes japanische Unternehmen kann diese Daten anfordern, wer dann Vorfahren hat, die als “Unrein” eingestuft sind bekommt dann in vielen Fällen keinen Job.
Interessant ist auch die Auseinandersetzung mit Propaganda Animes der Nachkriegszeit und deren heutigen Einfluss auf die Animekultur. Aber auch zwischenmenschliche Probleme werden behandelt, genauso wie Igorts vorliebe für japanische B-Movies der Sechziger. Insgesamt hat der Comic eine relativ melancholische Erzählart, die aber sehr stark vermittelt wie sehr Igort seine Zeit in Japan genossen hat. Die Inbrunst mit der er sich damals in sein japanisches Leben warf erklärt auch, wie er es schafft einen solch intimen Einblick in die japanische Kultur zu erlauben, der viel weniger oberflächlich und spezifischer ist als die meisten anderen Berichte dieser Art.
Optisch ist das Buch ein abwechslungsreicher Mix aus frankobelgischer Comickunst, Mangazeichnungen, klassischer japanischer Kunst und Bildcollagen die all das mit Fotos kombinieren. Geht somit über die übliche Gestaltung vom Comics heraus und sieht meist ziemlich schön aus. Einziger Kritikpunkt wäre hier, dass durch die vielen Stile und auch die schnellen thematischen Sprünge, Inhalt und Optik oft zusammengeschustert wirken, alles hat etwas zu viele verschiedene Zeichenstile und Arten der Kolorierung. Ansonsten ein starker Tipp falls ihr euch für zeichnerisches aus Japan interessiert. In diesem Punkt ist Igorts Comic nämlich ein intimer und einzigartiger Einblick.
8 von 10 alte Frauen die Igort sind