Seit „Digital Devil Story: Megami Tensei“, dem ersten Teil der Atlus Rollenspiel Reihe Shin Megami Tensei ist viel Zeit vergangen. Genau gesagt feiert der erste Teil der Atlus Reihe nächstes Jahr seinen 30. Geburtstag. Für JRPG Fans ein schönes Jubiläum auf das es sich zu freuen lohnt. Denn dank Deep Silver / Koch Media verkürzt sich die Wartezeit auf den Spin-Off Titel „Persona 5“ im nächsten Jahr mit einer Fortsetzung zum vierten Shin Megami Tensei IV. Willkommen in einer zerstörten Welt, willkommen im ummauerten Tokyo des Jahres 203X, willkommen inmitten einer Schlacht zwischen Dämonen, Engeln und Menschen. Zeit für die Apokalypse.
Apocalypse ist nach „Shin Megami Tensei: Devil Summoner: Soul Hackers“ und „Shin Megami Tensei“ nun schon der dritte Teil der Hauptreihe für den Nintendo 3DS. Die Story spielt neben und nach dem neutralen Ende von SMT IV und ist somit Sequel und Midquel zugleich. Das Spiel startet kurz vor dem Ende des vierten Teils: Tokyo ist beinahe vollkommen zerstört und liegt nach atomaren Sprengungen und dem Krieg zwischen dem heiligen Merkabah und dem Dämonenherrscher Lucifer in Ruinen und Asche. In Kellern und U-Bahnschächten kauern die wenigen Überlebenden des Weltuntergangs und hoffen auf die Rettung durch Flynn - den mächtigsten Dämonenjäger und zugleich Protagonisten von „Shin Megami Tensei IV“ - und seine Partnerin Isabeau. Während sich Flynn gegen Engel und Dämonen stellt und somit beide Hände voll zu tun hat, führt uns Apocalypse an den Rand dieses Konflikts.
Nanashi ist ein junger Dämonenjäger der gerade erst sein Smartphone bekommen und nicht mal seinen ersten Dämonen digitalisiert hat. An seiner Seite steht seine Freundin Asahi, die genauso wie er gerade erst ihre Ausbildung zur Dämonenjägerin angefangen hat. Aufgrund ihrer Unerfahrenheit geraten sie auch gleich in ihrem ersten Kampf an an den mächtigen Gott Dagda, der Nanashi sofort tötet. Doch statt des Game Over Screens wartet ein Trip in die Hölle auf den Jungen. Dort macht Dagda ihm ein angebot: Wenn er akzeptiert alles zu tun was Dagda ihm befiehlt, wird er ihn leben lassen. Er schließt den Pakt mit dem irischen Gott und wacht am nächsten morgen gesund und viel stärker auf.
Von nun an kämpft ihr euch durch viele Hilfsmissionen die am Rande des Krieges mal mehr oder weniger den Menschen und dem Kampf von Flynn helfen. Doch immer wieder funkt Dagda dazwischen und nutzt uns für seine ganz eigenen Pläne.
Für Neueinsteiger*innen kann die Story schnell etwas überladen erscheinen. Vor eurem ersten Kampf, kämpft ihr zunächst mit vielen Wänden voller Text. Denn ganz im sinne der alten Vertretern des Genres setzt Apocalypse eine große Freude an langen Dialogen voraus. Eine Stunde dauert es bis ihr wirklich zu spielen beginnen werdet. Typisch für die Serie hat aber auch diese Nebenhandlung einige sehr gute Dialogschreiber an Bord und die interessanten und vielschichtigen Charaktere können stets unterhalten. Im Gegensatz zu vorherigen Spielen überwiegt jedoch schnell der Eindruck, eure eigenen Entscheidungen beeinflussen die Handlung nicht zu sehr. Egal wofür ihr euch entscheidet und wie ihr auch spielt, am Ende bringt Dagda seine Puppe wieder in die Bahn die er sich für sie gedacht hat. Das und natürlich, dass ihr nur eine aufgewertete Nebenfigur spielt mag für neue Fans einen Interessanten Blickwinkel geben, am Ende bleibt aber ein etwas unbefriedigender Eindruck, der das epische Ausmaße eines Haupttitels vermissen lässt. Die Handlung wird euch in ein paar wenigen FMVs gezeigt, aber ansonsten lediglich durch Textboxen und nicht animierte Charaktersprites. Zu erwähnen ist aber die verdammt gute englische Synchronisation die zumindest alle Dialoge die der Handlung zugehörig sind vertont hat. Und auch das allein schon sind viele, viele Stunden. So gut das Writing aber auch sein mag, nach 20-30 Stunden also circa der Hälfte des Games beginnt die Story sich etwas zu verfransen und gepaart mit dem vielen Backtracking kommt allmählich Langeweile auf.
Wie schon gesagt, wie die meisten Oldchool JRPGs setzt auch dieser Titel ungehörig viel Sitzfleisch voraus. Im Laufe werden aber auch SMT Veteranen arg strapaziert. Die Dialoge verlieren nach einer gewissen Zeit ihren Charme und auch das stark repetitive Gameplay schwächelt zwischendurch. Der Spielverlauf brummt auch ständig neue Haupt- und Nebenquests auf. Die meisten Nebenquests verlangen von euch eine Horde Dämonen in Zufällig generierten, sehr eintönigen Dungeons zu besiegen oder alte Orte wieder zu betreten und dort etwas abzuholen oder ein bestimmtes Monster zu töten. Die Hauptquest hingegen führen euch immer wieder in neue ausufernde Dungeons. Das Verlies Design erinnert Stark an Dark Souls. Stets lassen sich neue Shortcuts öffnen, Teleporter finden und schwupp die wupp seid ihr sogar wieder mit in einer der menschlichen Basen.
Das der Spaß am fantastischen Leveldesign wird allerdings durch die schrecklich zu bedienende Map geschmälert die nur schwer erkennen lässt wie der ehrlich schnellste Weg zu eurem nächsten Wunschziel verläuft. Die Navigation durch die Stadt, die unzähligen Dungeons und die Wege zu den vielen menschlichen Hauptbasen wird dadurch schnell zur komplizierten Schnitzeljagd. Kann recht nervig werden falls ihr einen kleinen Ort vergesst und dorthin zurück müsst.
Während die stark theologisch und gesellschaftskritische Handlung natürlich einer der größten Pluspunkte der Reihe ist, fasziniert natürlich zuallererst das komplexe Kampfsystem und natürlich die Jagd auf insgesamt über 400 kontrollierbare Dämonen. Das System ist weiterhin tiefgehend und nicht zu leicht zu meistern, wurde aber im Vergleich zu vorherigen Teilen entschlackt und entkompliziert. Ihr spielt zu jeder Zeit Nanashi und bis zu drei der gefangenen Dämonen. Dazu könnt ihr euch einen Partner aussuchen der auch aus dem Hintergrund mit Heilungszaubern, Buffs oder unterstützenden Attacken aushilft. Einer davon ist Asahi, hinzu kommen später Feen, Geister und andere Wesen. Der Reihe nach dürfen eure Kämpfer und die Monster abwechselnd ihre Aktionen auswählen. Jeder Dämon hat wie auch ihr selbst Elemente gegen die er immun, schwach oder anfällig ist. Diese Schwächen müssen herausgefunden und ausgenutzt werden. Denn schon nach kurzer Zeit ist hier nach wenigen Stunden Schluss mit blinden Gekloppe. Wer die Schwächen seiner Feinde nicht ausnutzt hat auch mit einer hohen Levelzahl keine Chance gegen schwächere Feinde. Strategie ist also ein muss.
Neben den üblichen Elementen wie Elektrizität, Eis, Feuer, Heilig, Dunkel usw. gibt es hier noch Nah- und Fernkampf. Das Ausnutzen der Schwächen bringt nicht nur hohe Schadenszahlen und kritische Treffer, sondern beschert euch auch hin und wieder Extrarunden. Um für jede Art von Feind immer den richtigen Kontermove vorrätig zu haben, müsst ihr eure Skills gut managen. Durch geschicktes Fusionieren verschiedener Dämonen könnt ihr ihre Fähigkeiten aufwerten und durchs sogenannte „Whispering“ auch an euren Helden weitergeben. Dabei müsst ihr immer darauf achten möglichst alle Eventualitäten einzuplanen.
Beim Fusionieren kommen wir zum Monster jagen. Fast alle Dämonen gegen die ihr kämpft, können auch von euch zu Alliierten gemacht werden. Dazu müsst ihr während des Kampfes mit den Dämonen in Verhandlung treten. In diesen Dialogen müsst ihr den Charakter des Monsters erkennen und dementsprechend antworten, sodass ihr seine Gunst gewinnt. Das geht bei edlen Monstern durch Schmeicheleien, andere müsst ihr bedrohen, wieder andere erwarten ein bestimmtes Level oder einen speziell hohen Stat von euch. Oftmals müsst ihr ihnen auch Geld- und Sachgeschenke machen. Neben dieser Redeoption könnt ihr Monster auch nach Geld und Items anbetteln – nur zwei von zig Percs die ihr mit speziellen Punkten in Form von Apps auf euer Smartphone laden könnt.
Ist der Dämon gefangen kann er eingesetzt werden. Durch EXP leveln sie genauso wie ihr, aber schwache Dämonen geraten dabei schnell an ihre Grenzen. Verabschiedet euch von der romantisierten Vorstellung von Freundschaft zwischen Jäger und Monster a la Pokémon und Konsorten. Monster sind für euch ein Rohstoff der so geformt werden muss, dass ihr den besten Nutzen daraus ziehen könnt. Bindet euch also nicht zu sehr an eure Monster, denn nur wer ständig seine Monster fusioniert und immer stärkere Kampfmaschinen kreiert kann am Ende gewinnen. Neben normalen Fusionen können auch ganz spezielle Monster erschaffen werden, die zum Teil sogar mehr als zwei Dämonen benötigen. Zuvor gefangene Monster können auch nach der Fusion erneut beschworen werden wenn ihr sie davor ins Dämonenlexikon eingetragen habt. Allerdings kostet euch das einige Maccas. Geld kann im Übrigen nur durch Quests und gefundene Relikte erwirtschaftet werden und ist durch die Beschwörungskosten eine sehr viel wichtigere Ressource als in anderen Games dieser Art.
Shin Megami Tensei IV: Apocalypse ist vermutlich ein Muss für alle eingefleischten SMT Fans. Kritikpunkte gibt es viele, zu viele lange Dialoge, sich wiederholende Quests und der Plot verliert im Verlauf leider zusehend an Biss. Genauso ist die Grafik zwar okay, aber nichts besonderes, auch wenn die Sprites toll aussehen sind die Kämpfe sehr statisch und bieten wenig fürs Auge und auch der 3D Modus kann ignoriert werden. Andererseits ist das alles Nichts wodurch sich JRPG Fans abgeschreckt fühlen sollten. Der Sound des Games ist famos, der Witz und Charme der Dialoge ist teils super lustig und während die coolen Kids auf schönen Inseln nach Pokémon jagen waten wir Schmuddelkinder hier durch den ekligen Morast des zerstörten Tokyos und laden Dämonen auf unsere Handys. Das Kampfsystem ist auf dem hohen Schwierigkeitsgrad von Beginn an sehr fordernd und wird bis zum Ende auch nach 70-80 Stunden nicht langweilig. Die Monster Zeichnungen sind allesamt toll und einzigartig und die Dungeons sind bestens angelegt. Für Genrefans ein Muss und eine tolle Überbrückung bis Persona 5 endlich kommt. Für Gelegenheitsspieler*innen hingegen vermutlich technisch viel zu altbacken. Aufgrund des leichteren Gameplays und einigen Verbesserungen aber ein deutlich besserer Einstieg ins SMT Universum als der vierte Teil.
7 von 10 Drachen mit Schilf am Kopf