Sin City #1 - Stadt ohne Gnade (Cross Cult)
Marv, groß, ruppig und meist ein ziemliches Arschloch, verbringt die Nacht seines Lebens mit der hübschen Goldie. Als er am nächsten Morgen die Flucht ergreifen muss, da Goldie tot neben ihm liegt und die Polizei bereits an die Tür hämmert, wird dem tumben Schläger klar, dass es nicht Zuneigung war, die Goldie in seine Arme getrieben hat.
Marv, groß, ruppig und meist ein ziemliches Arschloch, verbringt die Nacht seines Lebens mit der hübschen Goldie. Als er am nächsten Morgen die Flucht ergreifen muss, da Goldie tot neben ihm liegt und die Polizei bereits an die Tür hämmert, wird dem tumben Schläger klar, dass es nicht Zuneigung war, die Goldie in seine Arme getrieben hat.
Auf der Suche nach dem Mörder wühlt Marv immer tiefer im Dreck von Basin City, wobei der Leser immer tiefer in den Sog aus Wahnsinn, Macht und Korruption gezogen wird, aus dem es so schnell kein entrinnen mehr gibt. Marv ist als Identifikationsfigur ziemlich ungewöhnlich. Brutal, sadistisch, sexistisch und mit seltsamem Moralempfinden, gibt er nicht den typischen Helden ab. Selbst im Bereich des Film Noir oder in Pulp Romanen würde dieser Charakter eine ziemlich extreme Überzeichnung darstellen. Trotzdem fiebert man von der ersten bis zur letzten Seite mit. Woran mag das liegen, dass dieser Typ einem nicht egal ist? Liegt es daran, dass er trotz seines Auftretens und Verhaltens dazu bereit ist bis zum Äußersten zu gehen, nicht nur um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, sondern um ein unschuldiges Menschenleben zu Rächen? Ich denke ja. Trotz vieler Verfehlungen ist Marv doch jemand mit dem Herz am rechten Fleck. Paranoid und wie gesagt brutal, aber nur dann, wenn die Situation danach verlangt. Frei nach dem Motto „Wenn das Leben hart ist, musst du härter sein!“ hat sich Marv seinen Platz in dem Moloch Basin City erobert und wird ihn sich nicht einfach so von jemandem nehmen lassen, der ihm den Mord an einer Person, die er mochte, anhängen will. Zumindest nicht ohne Kampf und viel Blutvergießen. Und so geht es dann also ziemlich hart zur Sache, während Marv sich durch die Stadt prügelt und nach und nach die Puzzleteile zusammenfügt, bis er feststellt, dass die ganze Sache wesentlich größer ist, als er vermutet hatte. Aber auch angesichts ziemlicher Aussichtslosigkeit ist er nicht bereit den Schwanz einzukneifen.
Marvs Blick auf die Welt ist der einzige, den wir in diesem ersten Band haben, weshalb wir sie ohne weitere Prüfung übernehmen. Etwas, was in anderen Comics möglicherweise schief laufen könnte, hier aber zu keinem Zeitpunkt Probleme mit sich bringt, denn auch wenn die (Anti-) Helden aus dieser Reihe sich aus Schlägern, Mördern, Huren usw. rekrutieren sind die „Bösen“ klar als solche zu erkennen und noch um einiges verkommener, da sie nicht nur einfach bösartig sind, sondern auch noch Macht und Geld haben. Somit verbleibt zwar ein gewisser Schwarz-Weiß Effekt, allerdings resultiert dieser aus einer Verschiebung der Perspektiven. Der kleine Halunke, der sich irgendwie durchschlägt gegen den großen, korrupten und mächtigen Feind. Vielleicht ist Schwarz- Weiß Effekt auch nicht der richtige Ausdruck dafür, eher ein dunkles Grau gegen ein tiefes Schwarz.
Natürlich lass ich es mir jetzt nicht nehmen, das jetzt als Überleitung zum visuellen Stil zu nutzen. Es ist schwer etwas zu schreiben, das noch nicht über diesen Comic und seinen Stil geschrieben wurde, falls ihr das alles schon mal gelesen habt tuts mir Leid.
Mit seinem groben Holzschnitt-Artigen Stil (Ja ich habs geschrieben, DIE gängige Beschreibung des Sin City Stils überhaupt. Verklagt mich doch!) und den starken Kontrasten (siehe vorige Klammer) schafft Miller es die Stimmungen seiner Geschichte aufs trefflichste zu unterstreichen. Miller ist in der Lage sowohl eine tolle Dynamik zu erzeugen und hat ein Gespür für interessante Perspektiven. Okay, für einige Comic Neulinge könnte es Möglicherweise eine Spur zu verwirrend sein, aber ich denke, wenn man sich erst mal eingelesen hat, will man gar keinen anderen Stil für diesen Comic. Auch das Design des Hauptcharakters konnte mich sehr überzeugen. Marv wirkt wirklich Imposant in seiner Gestalt, jedoch, wenn es drauf ankommt, menschlich genug, um Sympathien aufzubauen. Auch gibt es immer mal wieder Momente, in denen der Comic ohne oder mit wenig Text auskommt, um seine Geschichte zu erzählen. Das passiert zwar nicht so oft, aber wenn, ist man ganz froh mal eine kleine Verschnaufpause vom sonst so Textlastigen Geschehen zu bekommen. Denn das ist meiner Meinung nach wirklich ein Punkt, an dem einige Leser zu knabbern haben werden. Vieles in der Geschichte spielt sich über Marvs Monologe ab. Diese sind oft sehr umfangreich und natürlich alles andere als ungewöhnlich, wenn man bedenkt, dass Miller sich mit dieser Reihe eben auf die Pulp Romane der 1930er und 40er bezieht. In diesen Texten ist man als Leser natürlich Marvs Weltsicht ausgeliefert, was schon mal anstrengend sein kann, wenn er gerade mal wieder zu nem typischen Tough Guy Monolog ansetzt. Allerdings sollte man sich an diese Erzählweise gewöhnen, wenn man in der Reihe etwas weiter kommen will.
Von Frank Miller kann man halten was man will. Gerade in Bezug auf sein Verhältnis zu Frauen ist Kritik meiner Meinung nach auch mehr als angebracht. Zu Zeiten der Entstehung von Sin City war dies zwar noch nicht ganz so schlimm, aber fragwürdig ist es trotzdem. Wobei ich sagen muss, dass die Darstellungen von Frauen in der Welt von Sin City durchaus Sinn macht und stimmig ist in Bezug auf den Kontext der Geschichten. Ein merkwürdiger Beigeschmack bleibt bei mir aber trotzdem. Das mag mitunter an den jüngeren Machwerken von Herrn Miller liegen (siehe beispielsweise „All Star Batman & Robin“), allerdings will ich hier auch nichts schönreden.
Wie gesagt kritikwürdig und kontrovers war Miller schon immer, mit Sin City hat er aber eine der interessantesten und innovativsten Comicreihen der 1990er geschaffen, deren Ruf noch lange nachhallen wird.
Bei Cross Cult ist dieser Tage pünktlich zum 20. Geburtstag von Sin City und zum 10. Geburtstag von Cross Cult eine Neuauflage mit neuem, minimalistischen Artwork erschienen. Der hier besprochen erste Band „Stadt ohne Gnade“ enthält ein sehr interessantes Vorwort von Andreas C. Knigge zu Frank Miller und seinem Werk sowie seine Einflüsse. Wer die Bände also noch nicht im Regal hat und über die Anschaffung nachdenkt hat jetzt die Gelegenheit dazu.
9 von 10 Trenchcoats