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Während bei Detective Comics schon Batman und Superman große Erfolge feierten, steckte die Konkurrenz noch in den Kinderschuhen. Anfang der 1930’er Jahre veröffentlichte Martin Goodman noch seine Pulp Magazine, darunter Western und Detektivgeschichten. Daraus entstand dann sein Verlag “Timely Publications” in dem er die Comicabenteuer von Ka-Zar (dem Prototypen des heute bekannten Höhlenheldens), dem Sub-Mariner, sowie auch der ersten Human Torch (der Original Cyborg nicht das Fantastic Four Mitglied). Die erste Comicveröffentlichungen trug damals den Titel Marvel (Mystery) Comics, woraus dann einige Jahre später auch der Name des Verlags hervorging, den wir alle kennen. Seitdem sind nun 75 Jahre vergangen. Stan Lee, Jack Kirby, John Romita, später auch Frank Miller, Rob Liefeld und unzählige viele andere haben Marvel den Verlag für immer geprägt. Aus einem schwächlichen G.I. wurde der unbesiegbare Captain America, der bald darauf Hitler einen Kinnhaken verpasste und vier ganz normale Astronauten kamen als Marvels #1 Familie aus dem All zurück. Bis zu den Sechzigern erstarkte die Superheldenliga durch die Avengers, Spider-Man, Thor, Hulk und die X-Men und viele andere heute geliebte Helden durch die man das schwächende Genre wiederbeleben konnte, das kurzzeitig von Science-Fiction und Horror verdängt wurde. Und heute haben Marvels Kreationen nicht nur Kinderzimmer, Videospielkonsolen und spätestens seit Avengers auch Hollywood fest im Griff. 75 bewegte Jahre also, die man gut in einem knapp 8kg schweren Buch zelebrieren kann.
Vor einiger Zeit berichtete ich von “The Golden Age of DC Comics” und “The Silver Age of DC Comics” zwei äußerst grandiose Bände über die frühen Tage der DC Comicschmiede. Zum 75. Geburtstag von Marvel Comics erweist TASCHEN sich als äußerst fair und beschert auch der DC Konkurrenz eine sehr ähnliche Behandlung.
Entstanden ist aus diesem Anlass einmal mehr ein mächtiger Mammutbildband wie er eigentlich nur bei TASCHEN gut aufgehoben sein kann. Auf 712 Seiten im Format 29 x 39,5 cm findet ihr die gesamte Marvelhistorie von den 1930’ern bis Heute, sowie schier unglaubliche knappe 2.000 Illustrationen. Wo wir schon beim technischen sind: Bei den Maßen handelt es sich natürlich um einen Hardcoverband. Der Einband ist so mächtig wie er bei solch einem Umfang sein muss, denn wie gewohnt handelt es sich hier um dickes, hochwertiges, schweres Papier. Die Druckqualität ist umwerfend und auch an ein Leseband hat man gedacht. Dem englischen Buch liegt ein deutsches (nach Wahl auch französisches oder italienisches) Übersetzungsheft im Comicformat bei. Dazu gibt es noch eine ausklappbare Zeitleiste die ausgeklappt über einen Meter lang ist. Zudem kommt das Album in einem sehr hübsch designten Pappkoffer, der das schöne Schmückstuck vor Staub, Sonne, Haustieren und kleinen Kinderfingern beschützt.
Die Historie wurde verfasst von Roy Thomas, 1965-1980 Redakteur bei Marvel. Davon von 72-74 Chefredakteur des Verlags. Anhand vieler, teilweise auch persönlicher Anekdoten hangelt er sich von einem wegweisenden Stichwort zum nächsten, vergisst dabei auch obskursten Kram wie die romantischen Mädchencomics der frühen Tage nicht, wodurch vor allem die Zeit bis in die Siebziger sehr interessant sind und auch die Erfahrensten Marvel Fans unter euch noch einige neue Details lernen werden. Ich persönlich habe dabei festgestellt wie wenig ich wirklich über die ersten Jahrzehnte des Comicriesen wusste und dank dieses Buch hat sich das deutlich verändert. Auch wenn ich eigentlich wahnsinnig begeistert bin, gibt es an der historischen Aufarbeitung zwei größere Kritikpunkte. Einmal ist Roy Thomas als Autor klar befangen in seinen Aussagen. Wenn es zum Beispiel um das Spider-Man Musical “Turn of the Dark” geht, gibt es eigentlich keine größere popkulturelle Katastrophe dieser Art in den letzten Jahren. Trotzdem wird uns dieses Stück wenig ruhmreiche Comicgeschichte als Erfolg angepriesen. Zudem werden noch alle Schweinereien ausgelassen, die sich Marvel mit seinen Künstlern geleistet hat. So wird zum Beispiel einfach so getan als habe es keinen ersichtlichen Grund dafür gegeben als Liefeld, McFarlane, Larsen und die anderen Marvel verließen um Image zu gründen. Natürlich geht es hier auch darum den Verlag zu feiern. Wie so oft stünde es Marvel aber nicht schlecht auch mal einzugestehen das man in der Vergangenheit mit seinen Mitarbeitern oftmals sehr schlecht umgegangen ist - vor allem wenn man von ihnen keinen Nutzen mehr zu erwarten hatte oder sie frech wurden. Als definitive Aufarbeitung der Verlagsgeschichte muss man auch die dunklen Ecken beleuchten. Zum anderen ist mir die Zeit von den Neunzigern bis Heute zu wenig beleuchtet. Gerade diese Jahre waren eine neue wilde Zeit für den Verlag, da gäbe es noch einige wichtige Dinge zu erzählen. Stattdessen hat Thomas nur die grundlegenden Infos zu Besetzungswechseln und den größten Events aufgezählt.
Als Herausgeber und Artdirector wurde Josh Baker verpflichtet, der auch schon bei dem DC Pendant dafür sorgte, dass auch alles wirklich hübsch aussieht. Das tut es auch bei diesem Album. Zu jedem Bild gibt es einige Infos, wobei teilweise doch sehr erstaunlich ist, bei wie vielen Zeichnungen aus den frühen Tagen noch die Künstler dahinter ermittelt werden konnten. Der Großteil der Illustrationen sind Comiccover, einzeln ausgewählte Panel, Fotos vom Leben hinter den Kulissen und am aller interessantesten: Skizzen und Rohversionen von einigen bemerkenswerten Covern und Splashpages. Allein für die Coverentwürfe von John Buscema und Jack Kirby sollte sich der Band für die echten Comicfans schon lohnen. Ansonsten werden auch noch Merchandise und andere Kuriositäten vorgestellt. Toll was hier manchmal für absurde Dinge ausgegraben wurden und wieder mal ist es sehr erfreulich wie hoch die Qualität ist. Gerade bei den Covern aus den Vierzigern hat man so vieles in tollem Zustand gefunden oder restauriert. Ich bin hin und weg.
“75 Jahre Marvel. Von den Anfängen bis ins 3. Jahrtausend” ist mit seinen 150€ Anschaffungspreis ein deftiger Einkauf, der sich jedoch für jeden wirklich Interessierten lohnt. Abgesehen von meinen zwei Kritikpunkten ist hier alles so gut wie es nur sein kann. Selten habe ich mich so sehr auf und über einen Buchrelease gefreut wie bei dieser Ausnahmeveröffentlichung. Marvel Fans kommen nicht daran vorbei und auch Nicht-Comicinteressierte habe ich in diesem Buch stöbern sehen. Ist eben wirklich etwas besonderes, das wohl auch viele Leute außerhalb der typischen Nerdszene erreichen kann.
9,6 von 10 verprügelte Hitler
