Freitag, 9. November 2012

Nausea (Reprodukt)

Nausea (Reprodukt)

Seit 1968, genauer gesagt der ersten Ausgabe des ZAP Comix Fanzines tobt Robert Crumb sich in der Comic Szene aus. Dabei schert er sich bis Heute einen Dreck darum was der Comics Code ihm vorschrieb oder was man ihm erlaubte und was nicht. Egal ob bei Fritz the Cat, Mr. Natural oder auch bei seinen eher biographischen Geschichten, er hat nie Angst die derbsten Geschichten raus zu hauen und auch ganz gerne mal anzuecken. Leider ist hier in Deutschland wirklich nicht sonderlich viel von ihm zu bekommen, sogar der Fritz Band der bei Reprodukt erschienen ist, ist schon etwas länger vergriffen. Aber der sympathische Verlag zeigt Willen wieder artig zu sein und hat nun mit “Nausea” einen tollen Band mit verschiedenen Geschichten von Crumb veröffentlicht. Gut so!

112 Seiten feinste Comickunst aus der Feder Crumbs in einem hübsch gestalteten Hardcover Einband. Das Ganze erscheint in einem Format von 22 x 29 cm und der Inhalt wurde von Harry Rowohlt und von gleich drei fleißigen Menschen hand gelettert. Mehr gibt’s nicht zu sagen:

10 von 10 voll geschlonzte Stiefel

Hmmm na ja vielleicht habe ich doch noch was zu sagen. Wenn ihr Crumb Fans seit sollten die Infos aber schon ausreichen um euch zum Kaufen zu bewegen. Für alle anderen vielleicht doch noch ein paar Worte mehr:

Dieser Band enthält insgesamt sieben Kurzgeschichten, die im Zeitraum zwischen 1981 und 1999 entstanden sind. Der Raum dazwischen wird ausgefüllt mit Skizzen aus den Jahren 1965 bis 1999. Gesondert zu nennen sind Crumbs Zeichnungen von Patientinnen aus der Irrenanstalt von Surrey County, die er von alten Fotos abgemalt hat und Mein geheimes Leben mit der Sequenz in der Walter zwei Frauen auf dem Friedhof fickt. Wer noch ein wenig mehr zu diesen und anderen Skizzen lesen will, schaut mal in “R. Crumb Sketchbook Volume 10 - August 1992 - Jan. 1998” rein.

Die restlichen Geschichten wurden erstmals in Ausgaben von Underground Comic Zines wie “Wierdo”, “Raw” und “Hup” veröffentlicht. Die erste ist als Aufmacher denkbar gut gewählt. Den Anfang macht nämlich “Psychopathia Sexualis” eine optische Umsetzung von dem gleichnamigen Werk des deutsch-österreichischen Psychiaters Richard von Krafft-Ebing das 1886 erstmals erschienen ist. Darin beschrieb er sexuelle Abweichungen und Perversionen anhand seiner behandelten Fälle. Unter anderem Kategorisierte er dabei Begriffe wie Sadismus und Masochismus. Ein paar der eher harmlosen Fälle hat Crumb sich rausgesucht und eine sequenzielle optische Umsetzung angefertigt, die wiederum mit dem original Wortlaut von Krafft-Ebing unterlegt wird. Das es sich dabei um die eher harmlosen Fälle handelt heißt aber nicht zu viel. Neben Männern die nur können wenn sie Damen die Taschentücher stehlen, kommt es auch zu Sodomie oder es schneidet sich auch mal ein Mann Haut vom Körper um diese dann zu verspeisen. Keine leichte Kost. Was es so clever macht diesen Comic an den Anfang zu stellen, ist das durch diese Fallstudien einiges von Crumbs eher merkwürdigen Elementen klarer werden. Nachdem man die Psychopathia Sexualis gelesen hat, fragt man nicht mehr lange warum Crumbs Frauen so gezeichnet sind wie sie sind oder was hinter anderen oft wiederkehrenden Motiven steckt. So sollte auch Crumb Neuentdeckern vieles schneller offensichtlich werden. Optisch erinnert sein Stil hier stark an Kupferstiche, ein wenig mit karikaturistischen Elementen angereichert und wie meist stark schraffiert. Wie es sich für Crumb gehört, hält er sich nicht zurück und zeigt auch ein paar recht deftige Sachen, wie er aber selbst 1985 sagt, hat er absichtlich Fälle von Scheißefressen und andere derartige Sachen ausgelassen. Man muss ja den guten Geschmack ein wenig wahren.

Weiter geht es mit Auszügen aus Sir James Boswell Tagebuch, wobei sich Crumb natürlich ordentlich an dessen sexuellen Ausschweifungen festklammert. Die Zeichnungen sind erneut sehr fein, sind aber stärker in dem gängigen und bekanntesten Stil von Crumb, den man auf jedem Panel sofort wieder erkennt. Danach huldigt er in “Jelly Roll Mortons Voodoo-Fluch” seiner Liebe für Jazz und Blues und schreibt Drumherum eine düstere und gruselige Geschichte um einen Bandleader. Hier fällt mal wieder auf, das Crumb egal was er schreibt und zeichnet immer eine klare persönliche Verbindung zu seinen Geschichten hat, irgendetwas biographisches ist in jedem seiner Strips zu finden. Hierbei nutzt er weniger exzessiv Schraffuren, sondern verlässt sich auf große negative Flächen und starke Kontraste, eine Stilart von ihm die besonders Charles Burns (X) sehr beeinflusst hat.

Auf die nächste Comicgeschichte bin ich erst vor einigen Wochen aufmerksam geworden. Während ich eine Dokumentation über den großartigen Science-Fiction Autor Philip K. Dick (Do Androids dream of electric Sheep?) gesehen habe, kam unter anderem auch seine vermeintliche schizophrene Erkrankung zur Sprache. Dick selbst war aber der Meinung er hätte während seiner Schmerzen nach einem Zahnarztbesuchs Erleuchtung erhalten und könne Hellsehen. Wirklich war er der einzige der einen Geburtsfehler seines Babies erraten konnte und dem Kind so das leben rettete. Crumb nahm Dicks Aussagen aus “ The last Testament” und machte daraus einen Comic fürs Wierdo Fanzine. Wie der Zufall es wollte wurde auch genau diese Crumb Story die ich eh gerade suchte in diesem Sammelband veröffentlicht. Die Geschichte ist weiterhin mysteriös, da Dick wirklich Dinge voraus sehen konnte (was eh gruselig ist wenn man betrachtet wie viele seiner totalitären Dystopischen Werke mittlerweile zu unserem Alltag geworden sind) aber was wirklich mit ihm los war wurde nie geklärt. Die Theorie der Schizophrenie halte ich aber bei einem Mann wie Dick für höchst wahrscheinlich. Egal, jedenfalls hat Crumb dieses merkwürdige Kapitel in Dicks Leben ebenfalls sehr kontrastreich umgesetzt. Für Science-Fiction Fans ein ganz besonderer Einblick in das Leben eines der wichtigsten Autoren des Genres.

Kommen wir zu dem Comic, der wohl das Herzstück dieses Bands ist, nämlich die Namensgebende Story “Nausea”. Hierfür hat Crumb den wohl wichtigsten Roman des Existentialismus, nämlich “Der Ekel” von Sartre genommen und einen Ausschnitt darauf aus seine Art etwas verändert und in Comicform gebracht. Neben einem großartigen und ausgedehnten Dialog, zeigt Robert hier wie man mit einfachen mitteln einen Comic nur durch geschickte Seitenlayouts und Clever arrangierte Panel zu einem bedrückenden und nur schwer zu lesenden Kunstwerk machen kann. Großartig und gleichzeitig auch wieder ein tiefer Blick in Crumbs ängstliche Seele.

Danach wird es endlich mal etwas lockerer und leichter unterhaltend. Wir betreten das Universum von Fritz dem Kater. Die Rättin Wichita und ihre Freundin Stacey wollen Schweinereien mit Dave machen, dabei erfahren sie aber zum ersten mal davon das Dave im sexuellen Bereich stark olfaktorisch fixiert ist. Der geile Schnüffler! Turnt die Mädels erstmal ein wenig ab, letztlich wird aber doch alles geil. Einmal mehr zeigt der Autor und Zeichner uns hier sexuelle Ausschweifungen aus dem anthropomorphen Tierreich. Wie immer im Fritz Universum sehr lustig und unterschwellig sozialkritisch.

Abgeschlossen wird der Band mit “Böses Karma”. Darin wird ein Trottel von Gott für sein trotteliges Leben bestraft, muss durch eine Wüste von Gesichtern latschen und sich von einer Klippe stürzen. So gelangt er zu einer guten Fee, an der auch gut was dran ist so wie es der Trottel (Robert Crumb) nun mal mag. Der Mann phallustiert sich erst an ihren großen Stiefel in der ihre mächtigen Beine ein Zuhause gefunden haben und klettert dann langsam zu ihr hoch wo er an pikantere Stellen gelangt. Viel typischer kann es für Crumb nicht werden. Letztlich treibt er seinen Fetisch, sich gerne von großen, starken Frauen tragen zu lassen auf die spitze. Der Trottel lässt sich von ihr nämlich sogar während des Aktes umhertragen. Albern, merkwürdig, aber total großartig. Unterbrochen wird dieser Comic durch ein kurzes Intermezzo von Crumbs wohl bekanntesten Figur gleich nach Fritz. Mr. Naturel kommt für zwei Seiten hinzu und beschimpft den Leser ein wenig und versucht damit wie immer pseudophilosophisch den Leser mit blitzgescheiten Medienbeobachtungen zu beeindrucken. Hat geklappt.

Sein Ende findet der Band mit einer kleinen Einführung in Crumbland von Klaus Schikowski. Dabei werden die wichtigsten Etappen von Crumbs Karriere, einzelne seiner Stilelemente und wiederkehrende Motive erläutert und ein ganz netter überblick über sein schaffen vermittelt. Eine runde Sache also. Bleibt noch zu sagen das der Band komplett betrachtet eigentlich nur starke Geschichten beinhaltet, die auch einen ganz guten überblick über die verschiedenen Werke des Künstler verschaffen. Die Verarbeitung ist qualitativ hochwertig wie man es von Reprodukt kennt und die Übersetzung von Harry Rowohlt ist wie erwartet ausgezeichnet. Ebenso wie das sorgfältige Handlettering das hier auch absolut notwendig war um die Comics gut lesbar zu halten. Großartige Veröffentlichung, hoffen wir das bald mehr von Crumb bei Reprodukt erscheint, was im Moment nur schwer oder in unschöner Aufmachung zu bekommen ist.

9,4 von 10 Tintenkleckse auf der Schürze