Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen - Nemo: Herz aus Eis (Panini)
1925 in New York: Janni Dakkar, Captain Nemos Tochter und Erbin der Nautilus stiehlt gemeinsam mit der U-Boot Crew und ihrem Handlanger Ishmael den Schatz der ägyptischen Göttin Ayesha. Doch wie einst auch ihr Vater hat nun auch sie genug vom Plündern und wechselt in das Gebiet der Forschung. Beim Studieren der Unterlagen ihres Vaters lernt sie alles über dessen Expeditionen. Dabei erfährt sie davon, wie er einst zur Antarktis reiste, wo er die Berge des Wahnsinns entdeckte. Sie will nun ihr Erbe wirklich antreten und diese Expedition wiederholen. Auf dem Weg zum Pol machen sie kurz in Megapatagonien halt. Es ist eine umgedrehte Version von Paris, die von anthropomorphen Tieren bevölkert wird, die rückwärts Französisch sprechen. Von dort aus soll es weiter zu den Bergen gehen, wo sie es nicht nur mit riesigen Pinguinen, sondern auch mit einem Shoggoth zu tun bekommen werden. Vorher setzt Kane allerdings noch die drei amerikanischen Topwissenschaftler Reade, Wright und Swyfte auf sie an, die sofort die Verfolgung aufnehmen. Am Pol angekommen werden sie sogar empfindlich von ihnen attackiert, wobei sie ein paar Crewmitglieder verlieren. Zum Glück hat auch Janni einen genialen Mann an Bord, nämlich niemand geringeres als die Denkmaschine Augustus van Dusen.
“Nemo: Heart of Ice” ist eine kleine Nebenhandlung innerhalb des Liga der außergewöhnlichen Gentlemen Universums und der erste Teil einer geplanten Nemo Trilogie. Hauptrolle dieses knapp 60-seitigen Comics ist Janni Dakkar, Nemos Tochter aus der Liga Welt, die nicht in Jules Vernes Geschichte vorkam. Ihre Herkunft ist sogar viel abstruser, denn wie alle wichtigen Figuren dieses Universums basiert auch sie auf einer alten Literaturfigur. Alan Moore hat sich bei ihrer Erschaffung nämlich von einer jungen Dame aus Brechts Dreigroschenoper inspirieren lassen. Ihr Steuermann Ishmael hingegen ist eigentlich bekannt als der Erzähler aus Moby Dick. Gemeinsam bestehlen sie hier Ayesha, die wiederum auf einer Figur aus “She” basiert, einer mehrfach von den Hammer und anderen Studios verfilmte Romanreihe von H. Rider Haggard.
Weitere Figuren basieren auf den Kriminalfällen von Prof. Dr. Dr. Van Dusen, verschiedenen Groschenromanen, Tom Swift, Cititzen Kane und natürlich auch H.P. Lovecrafts Reiche werden betreten. Und dann sind da noch die riesigen Pinguine und Metropolis wird auch noch besucht. Wie jedes mal bei den Liga Comics des guten Herren Moore ist das Heft auch dieses mal vollkommen vollgepackt mit popkulturellen Anspielungen, die teilweise mehre Jahrhunderte in die Vergangenheit zurückzuverfolgen sind. Im direkten Vergleich zu den Bänden der Hauptserie der Liga ist diese kleine Geschichte recht einfach gestrickt. Der grundlegenden Handlung zu folgen ist also recht einfach, aber trotz des überschaubaren Umfangs kann man sich ein weiteres mal gut in Moores Writing zu verlieren. Abseits der zentralen Sache kann man, wenn man denn will, viele Anspielungen und Dergleichen entdecken. Dadurch ist der Zugang zu diesem Nebenkapitel sehr viel einfacher als bei der eigentlichen Reihe. Hier kann man einfach so locker einsteigen, braucht nicht zwingend zu viel Vorwissen und kann auch mit normalem literarischen Wissen das meiste verstehen. Mir sind vermutlich wie immer einige Anspielungen entgangen, aber im Gegensatz zu den anderen Liga Bänden habe ich hier nach dem ersten Lesen schon das Gefühl das meiste verstanden zu haben ohne zu viel zu verpasst zu haben. Also eher etwas für zwischendurch, allerdings ohne je oberflächlich oder simpel zu sein.
Moores Writing ist also ungewohnt aufgeräumt und gradlinig. So hat man ihn länger nicht mehr erlebt. Die Dialoge sind kurz, knackig, meist pointiert und die Handlung ist zumeist aufs nötigste reduziert. Dadurch wirkt der Plot schön straff erzählt und lässt nie Langeweile aufkommen. Um Moores auslandende Skripte zu adaptieren war einmal mehr Kevin O'Neill zur Stelle, der Moore schon seit Mitte der Siebziger seit ihrer gemeinsamen Zeit bei 2000 AD begleitet. Herausgekommen sind dabei einige wunderschöne Seiten. Gerade das psychedelisch angehauchte Finale sieht schön und gleichzeitig sehr brutal aus. In einigen Szenen fällt erst auf wiederholten Blick auf wie detailreich Moores Skripte ausfallen. Teilweise gibt es Seiten in denen alles recht starr erscheint, wenn man aber genauer hinsieht bemerkt man erst wie viel im Hintergrund abgeht. Hier zeigt sich mal wieder, dass die Möglichkeiten von Comics als sequentielle Kunst viel umfangreicher sind als viele Künstler vermuten lassen. Selbst eine starre Szene kann unterschwellig viel mehr Bewegung zeigen als man manchmal denkt. Tolle Farben kommen noch dazu und runden dieses Abenteuer klasse ab.
Neues Nemo Abenteuer in der Welt der Liga. Moore schreibt mit klarem Kopf und zugleich weniger verklopft oder mystifiziert als man ihn in den letzten Jahren meist vorgefunden hat. Kevin O'Neills Artwork ist einmal mehr eine Augenweide und so werden Fans sich nach dem Genuss der 60 Seiten nach mehr sehnen. Aber auch Leser denen die Welt der Gentlemen bisher zu überladen und nur schwer zugänglich war, können hier reinschnuppern ohne in die große Handlung der Reihe gezogen zu werden.
8 von 10 dicke Amöbendinger