Transmetropolitan #3: Lonely City (Panini)
Enthält die US-Ausgaben Transmetropolitan #25-#36.
Das Monster hat die Wahl verloren und musste Washington verlassen. Gonzo Journalist Spider Jerusalem war daran nicht ganz unschuldig. Aber natürlich hat auch Mr. Callahan, der neue Präsi, ziemlich viele Leichen im Keller. Spider zieht sofort los um eine Schmutzkampagne ins Rollen zu bringen. Bewaffnet mit seinem Darmdisruptor geht er wieder auf die Straße. Um Dreck zu finden, muss man eben manchmal darin herumwühlen. Seine Assistentin Yelena Rossini und seine Körperschützerin Channon Yarrow begleiten ihn dabei. Gemeinsam untersuchen sie den Mord an einem Jugendlichen, der aufgrund seiner DNA von einer Gruppe Brutalos umgebracht wurde. Obwohl es auf der Straße nur so vor Kameras wimmelt will die Polizei angeblich keine Hinweise auf die Täter oder Kameramaterial entdeckt haben. Natürlich weiß Spider es besser, doch seine Nachforschungen bringen nicht nur die Wahrheit heraus, sondern auch ihm seine erste zensierte Kolumne bei “The Word” ein. Seine Wahrheit wiederum bringt viele Demonstranten und andere Presseorgane zur Polizeistation. Erst einmal eine gute Sache, doch dann säubert die Polizei die Straße und so gibt es keine Zeugen mehr. Abgesehen von Spider und seinen Assistentinnen, die im letzten Moment fliehen konnten.
Derweil leiert Präsident Callahan ein neues Gesetz an, das alten Säcken erlauben soll mit vorpubertären Menschen Sex zu haben. Erstmal ein schreckliches Vorhaben, andererseits aber auch die perfekte Gelegenheit um ihn endlich aus dem Amt zu bekommen. Aber wie immer brauch jede düstere Wahrheit einen kranken, mit Scheiße um sich werfenden Irren der sie ausspricht. Doch vorher muss Mister Jerusalem noch einmal seine Gesellschaftsdepression überwinden. Gar nicht einfach wenn man für viele nur noch eine Anime Figur ist.
Zwölf Comichefte in einem massiven Hardcover. 292 Seiten voll mit Spucke. Schlägt man den dicken Hassbolzen auf, dann bekommt man zuerst ein Vorwort von Patrick Stewart (Charles Dickens – Eine Weihnachtsgeschichte). Wirkt zuerst etwas wahllos, in Wirklichkeit ist Stewart aber ein großer Fan der Comicreihe und wollte sie mit seinen Flying Freehold Productions' sogar Verfilmen, weshalb er im Februar 2003 die Filmrechte von Warren Ellis (Fell) und Darick Robertson (Conan). Daraus wurde dann nichts und eine Online Cartoonserie, bei der Stewart als Stimme von Spider Jerusalem in Erscheinung treten sollte, stand für einige Zeit zur Debatte. Daraus wurde leider, vielleicht aber auch zum Glück nichts.
Danach geht es mit dem eigentlichen Comic los. Wieder einmal wird es dabei sehr schnell sehr schmutzig. Plumpheit und Tiefe liegen sich bei Ellis oftmals in den Armen. Gleich zu beginn schwadroniert Spider über seine Vergangenheit, kranke Bilder aus dem Alltag unserer Gesellschaft kombiniert der Autor innerhalb des Arworks von Robertson mit der Transmetropolitan eigenen Optik. Zynisch, bissig, total daneben. Total Gonzo halt, dabei ziemlich nachdenklich. Jedenfalls wenn die Situation es zulässt. Trotzdem lässt Ellis es sich nicht nehmen freudig mit Fäkalien um sich zu werfen. Oftmals wirkt sein Writing dadurch tierisch Schizophren. Die Serie könnte durchaus ein intellektueller Klassiker sein. Eine chirurgisch vom Protagonisten zerpflückte Parodie auf das Konsumverhalten des Menschen, die kranken auswüchse unserer Gesellschaft, davon wie die Medien uns lenken, dabei stetig das schlechteste wollen und über die Intentionen der Politiker ist gar nicht mehr zu reden. Dazu kommt es aber nicht, denn immer wenn der behornbrillte Kritiker sich arrogant und überheblich darüber auslassen möchte was der Autor uns mit seinem Geschwafel aussagen möchte, zeigt der Comic sein antiintellektuelles Gesicht.
Auf der einen Seite handelt die Geschichte noch vom korrupten System und ermuntert den Leser dazu aufzustehen und nicht mehr jede lüge unkontrolliert zu glauben. Ein Panel weiter macht Robertson alles zunichte. Spider lässt sich von seiner mutierten Katze bepissen, Frauen mit Barcode anstatt Nippeln tanzen umher und Spider selbst redet über fette Pimmel und Dünnschiss. Verhindert wird dadurch jegliche Verkopftheit, was wiederum dazu dient die Geschichte unterhaltsam zu halten. Nie langweilt die Geschichte und neben all der heftigen, vehementen und berechtigten Systemkritik gibt es einen farbenfrohen und krassen Noir-Thriller in einem Cyberpunk Universum. Die Handlung verkommt nie zum Selbstzweck und trotzdem bleibt die Botschaft sichtbar, wenn man denn will.
Zu Formen und Farben werden Ellis Skripte durch die harte Arbeit von Darick Robertson. Seine Zeichnungen sind fulminant detailreich und jedes mal gespickt von wirklich vielen cleveren und lustigen Ideen. Bei jedem Panel lohnt es sich in den Hintergrund zu blicken und die Welt von Transmetropolitan mehr zu entdecken. Mittlerweile hat er sich ordentlich eingegrooved und er liefert konstante Qualitätsarbeit ab. Zwei mal innerhalb dieses Sammelbands wird es dann doch etwas traurig. Aufgrund irgendeiner fixen Idee von Ellis oder aus Zeitmangel sind hier zwei Hefte darunter, die nur aus großräumigen Panel bestehen darunter und drüber dann große Textboxen. Leider hässlich und liest sich sehr statisch. Ist im Gesamteindruck aber zu verkraften. Ein ganz besonderes Heft ist die #31. Darin durchlebt Spider einige Albträume, sieht sich selbst in einer Drogenfantasie als unbesiegbarer Antiheld, als Anime Serienfigur und seine Pornoparodie. Unterstützt wurde Robertson hierbei von Kieron Dwyer (Remains), Lea Hernandez, Bryan Hitch (Ultimates: Übermenschlich), Frank Quitely (X-Men: Bedrohte Spezies), Eduardo Risso (Spaceman). Jeder von ihnen darf ein kleines Segment der Ausgabe illustrieren und dabei stilistisch vollkommen frei drehen. Darunter sind dann auch wieder einige schöne und vor allem brüllend komische Ideen, die für die paar starren Seiten mit den dicken Boxen durchaus Boden wett machen können.
Ein wahnsinniger Journalist beißt in eine tote Taube, ein dreiäugiger Smiley grinst blöde und irgendwo, wird irgendjemandem ordentlich der Darm verdreht. Ellis hat mit Transmetropolitan eine Ausnahmeserie erschaffen die in ihrer Absurdität nur schwer zu übertrumpfen ist. Die beißende Satire und der dunkle Humor kann wohl nur von Ennis Preacher wiederholt werden und genauso wie Preacher ist auch diese Serie ein unsterblicher Klassiker geworden und ohne Frage einer der besten Comics meiner Generation, auch ganz ohne das Hippe Schlagwort “Graphic Novel”.
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