Henry - Portrait of a Serial Killer (1986) [Bildstörung]
Als er vierzehn war, tötete Henry (Michael Rooker) seine Mutter, die ihn sein Leben lang gequält hat. Von diesem Zeitpunkt an tötete er nur noch, um sich selbst Lust zu bereiten und mit den getöteten Frauen Sex zu haben. Nach einem längeren Aufenthalt im Knast zieht er bei seinem ehemaligen Zellenkumpanen Otis (Tom Towles) ein. Tagsüber arbeitet er immer mal wieder als Kammerjäger und nachts macht er sich daran, seiner Befriedigung nachzukommen. Aber dann zieht Otis Schwester Becky (Tracy Arnold) mit in die räudige Wohnung ein. Langsam wird es eng in der Wohnung. Während Henry seinem Freund Otis in die Kunst des Tötens einweist, kommt er dessen Schwester immer näher.
Nach vielen Jahren der Indizierung haben die fleißigen Leute von Bildstörung eine Listenstreichung beantragt. Um zu verdeutlichen, dass die damaligen Indizierungsgründe nur daraus entstanden sind, dass niemand vom Gremium den Film auch nur annähernd verstanden hat, argumentierte man mit einem Auszug aus Dr. Stefan Höltgens Buch ”Schnittstellen - Serienmord im Film”. Darin analysiert er die Gewalt und ihre Bedeutung. Dies genügte, um das Gremium diesmal davon zu überzeugen, dass “Henry” nicht mehr als indizierungswürdig eingestuft werden kann und endlich ungekürzt erscheinen darf. Dieser Auszug, genauso wie die damalige Begründung für die Indizierung und die aktuelle Begründung für die Listenstreichung sind auch in dem 23-seitigen Booklet nachzulesen.
“Portrait of a Serial Killer” ist ein wuchtiger Film. Viele lange Szenen ohne Schnitte oder Bewegung geben dem Geschehen mehr Gewicht und besonders die teilweise dokumentarisch angehauchte Darstellung von Gewalt verfehlt ihre abschreckende Wirkung nicht. Dabei lockt Regisseur John McNaughton (Haeckel's Tale) die Zuschauer zu Beginn noch in eine fiese Falle. Henrys erste Opfer innerhalb des Films werden schon tot gezeigt. Der erste Mord, den wir miterleben, kommt etwas humorig rüber. Zudem ist sein Opfer ein ziemlicher Arsch und Otis und Henry sind zu diesem Zeitpunkt eher Sympathieträger als Monster. Überhaupt ist der Kill ziemlich drüber und sehr exploitativ inszeniert. Für den Zuschauer ist die Gewalt zu diesem Zeitpunkt plumpes Entertainment wie in jedem anderen Slasherflick. Doch schon bald dreht sich der Film. Zwischen den Gewalttaten wurden ausgedehnte Szenen platziert, die von den großartigen Leistungen der Akteure getragen werden. Vor allem Michael Rocker (The Walking Dead) spielt Henry extrem gut und verleiht seiner Rolle viele Facetten. Überhaupt wird Henry nicht als diabolisches Monster dargestellt. Er ist eine Person, die von Geburt an keine Chance hatte, und ist somit teilweise wirklich sehr bemitleidenswert. Die genauen Gründe für seine Taten werden trotzdem nicht erklärt, wodurch seine Handlungen auch nie gerechtfertigt werden können, was wiederum dazu führt, dass man als Zuschauer mehr über diese Taten nachdenkt als in anderen Filmen dieser Art.
Wie schon angekündigt wechselt die Darstellung der Gewalt nach diesem ersten eher bitterböse lustigen Ausbruch von Henry. Später sehen wir zum Beispiel eine Szene, in der eine Familie brutal überfallen wird. Die Kamera steht dabei still, das Bild ist körnig und entspricht etwa dem, wie man sich Snuffvideos vorstellen würde. Erst ganz am Ende der Szene zeigt die Kamera was sich vor dem Fernseher befindet. Nämlich Henry und Otis, die dieses Video zur Belustigung sehen und anschließend sogar noch einmal zurückspulen, um es noch mal zu sehen. Hierbei werden wir also damit konfrontiert wie wir eben noch selbst die Gewalt als Unterhaltung wahrgenommen haben, genauso wie die beiden Mörder, die sich jetzt an der Gewalt aufgeilen, die für den Zuschauer plötzlich nicht mehr unterhaltsam sondern abstoßend wirkt. Diese Szene und die Botschaft wird einem so gekonnt an den Kopf geworfen, dass man schon über sich und das Empfinden von medialer Gewalt ins Grübeln kommt. Großartige Szene.
Aber auch danach wird es für den Zuschauer nicht angenehmer und McNaughton setzt im Finale sogar noch ein wenig drauf. Besonders Tracy Arnold (Alienkiller) wird dabei sehr viel zugemutet. Eine wirklich sehr respektable Leistung der damals völlig unerfahrenen Schauspielerin. Zur glaubwürdigen Atmosphäre, die der Film vermittelt, gehört auch, dass alle Szenen on Location gedreht wurden. Vor allem die reale Bruchbude in Chicago trägt stark zum Feeling des Films bei. Handwerklich ist der Film äußerst gut. Wie schon gesagt transportieren die langen statischen Kameraeinstellung viel Spannung. Insgesamt ist der Look aber trotzdem sehr roh und dreckig, wodurch der Film erneut an Realismus gewinnt. Ganz perfekt ist Henry dann aber doch nicht. Im Finale wird mit dem Blut dann doch etwas übertrieben, wodurch es nicht so erschreckend ist, wie es sein könnte. Trotzdem eine verdammt schwer zu ertragende Szene. Und am Soundtrack gibt es auch ein wenig auszusetzen. Die Songs an sich sind zwar cool und stammen ausschließlich von lokalen Underground Bands, immer wollen diese Stücke aber nicht so recht zum Geschehen passen.
Abschließend bleibt noch zu sagen, dass “Henry - Portrait of a Serial Killer” ein dumpfer Schlag vor den Kopf ist. Der Film spielt mit unserer Wahrnehmung von Gewalt in Filmen und hinterfragt diese auf unauffällige Art und Weise. Handwerklich ist der Film mehr als solide und die Schauspieler machen ihre nicht gerade einfache Aufgabe sehr gut. Einer der besten Slasherfilme überhaupt.
Die Veröffentlichung von Bildstörung kommt ungeschnitten mit einer Bonus Disc. Auf der ersten DVD ist der Film mitsamt eines Audiokommentars des Regisseurs enthalten. Hierbei erfährt man eigentlich alles über die Dreharbeiten. McNaughton schafft es sehr gut, den Kommentar voll mit Informationen zu packen, ohne dass es langweilig wirkt. Auch für alle Indiefilmer ist der Kommentar perfekt, da er sehr mitreißend erklärt, wie man auch ohne Kohle einen soliden Film auf die Beine stellt. Genauso wie für den O-Ton gibt es auch beim Audiokommentar Untertitel und die deutsche Synchro ist ziemlich gut. Das Bild des Films ist nicht das beste, ziemlich farblos und körnig, aber so soll es wohl auch sein und jede Bereinigung würde nur das Feeling zerstören.
Auf der Bonusdisc findet ihr noch ein sehr ausführliches Making Of (fast 60 Minuten lang), eine Minidoku über den echten Serienkiller Henry Lee Lucas, auf dessen Taten der Film locker basiert, ausführliche und tiefgreifende Interviews mit McNaughton, Deleted Scenes und Outtakes mit Kommentar vom Regisseur, ein Feature über die britische Zensurgeschichte, bei dem McNaughton die Gewaltszenen noch mal durchgeht und über ihre Bedeutung spricht und zuletzt noch einige der Storyboards. Wie oben schon erwähnt enthält die wie immer fabelhaft schöne Veröffentlichung im Schuber auch noch ein Booklet, in dem die deutsche Zensurgeschichte aufgearbeitet wird. Eine vorbildliche Veröffentlichung, an der es nichts zu meckern gibt, wie eigentlich immer bei Bildstörung.
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