Samstag, 8. März 2014

Der gigantische Bart, der Böse war (Atrium)

Der gigantische Bart, der Böse war (Atrium)

Dave wohnt Hier. Hier ist perfekt. Hier ist ordentlich. Hier kann jeder seinem geregelten Tagesgeschäft nachgehen und muss niemals etwas hinterfragen.
Dave liebt es abends an seinem Fenster zu sitzen, „Eternal Flame“ von den Bangles in Endlosschleife zu hören und alles zu zeichnen, was er auf der perfekten Straße sieht. Das beruhigt Dave. Denn hinter seinem Haus beginnt die See und hinter der See liegt Dort. Dort ist Unordnung. Dort ist Chaos. Dort ist das Böse.
Alle in Hier haben Angst vor Dort. Auch Dave. Er ist froh, wenn er zur Arbeit in der Mitte von Hier kann, denn hier ist er am weitesten entfernt von Dort. Doch Dave hat ein Merkmal, dass ihn von den anderen Unterscheidet. Ein winziges Haar, dass egal wie oft er es entfernt sofort wieder nachwächst.
Dave hat sich daran gewöhnt. Eines Tages allerdings beginnt ihm in einer Stresssituation ein Bart zu wachsen, der einfach nur gewaltig ist und sich nicht zähmen oder abschneiden lässt.
Dort hat einen Weg nach Hier gefunden.

Ganz ehrlich: Wie könnte ich einen Comic mit dem Titel „Der gigantische Bart, der Böse war“ links liegen lassen? Eben! Gar nicht. Also auf in Stephen Collins haariges Vergnügen.

Die Geschichte um Dave, Hier und Dort hat eine ganz eigene Stimmung, die einen von der ersten Seite an packt. „Märchenhaft“, „schwarzhumorig“, „absurd“, “traurig“, „ermutigend“, „philosophisch“ sind die Schlagwörter, die mir, auch wenn sie manchmal gegensätzlich scheinen, in den Sinn kommen, wenn ich an diesen Comic denke.

Geschichten von gleichgeschalteten Gesellschaften, die das Individuum verabscheuen gibt es zuhauf, ich wüsste aber nicht, dass sich jemand auf diese Weise dem Thema genähert hat.
Collins gelingt es wunderbar uns diese Welt und ihre Bewohner nahe zu bringen. Und das auch mit wenig Text. Oftmals würden schon die Zeichnungen alleine für sich sprechen. 

Dave ist auf seine Weise ein sympathischer Hauptcharakter. Sehr gefangen in seiner Routine und den gesellschaftlichen Regeln, versucht er eigentlich nur durch den Tag zu kommen. Er ist so, wie er ist und hinterfragt das nicht. Mit dem Bart beginnt aber seine Isolation. Von seinem Chef gefeuert und auch in seinem Lieblings Fast Food Restaurant ist er nicht mehr willkommen.
Vor seinem Haus sammeln sich die Schaulustigen, während er weiter zeichnet. Dave bleibt stoisch und vertraut darauf, dass schon eine richtige Lösung gefunden wird.
Das alles ist sowohl äußerst humorvoll und ironisch, als auch ein wenig herzerweichend.
Zuviel vom Plot will ich aber nicht verraten, damit ihr noch Freude an diesem Werk habt. Nur so viel: Die Ideen, die die Regierung von Hier vorbringt sind aberwitzig und sorgen für den einen oder anderen Schmunzler.

Die Erzählform die Collins gewählt hat, tut ihr Übriges, um die Stimmung des Ganzen zu unterstreichen. Fast schon lyrisch ist die Wahl seiner Worte und ebenso gekonnt eingesetzt. Mal spärlich einen Abschnitt über mehrere Seiten, ein anderes Mal verschmelzen Erzähltext und der Text in den Panels (z.B. als Straßenschild etc.) miteinander.

Und nicht minder beeindruckend ist die Gestaltung des Bandes.
Die Zeichnungen sind durchgehend in Schwarz-Weiß- und Grautönen gehalten und mit dicken Outlines versehen.
Bei der Panel Gestaltung war Collins äußerst kreativ und jede Seite ist wunderschön anzusehen und ganz anders, als die vorherige. Von Seiten mit wahnsinnig vielen kleinen Panels, mal gerade und ordentlich, mal schräg, bis hin zu Double Splash Pages, die die gigantischen Ausmaße des Bartes zeigen, ist alles vertreten.

Der Atrium Verlag bringt den Comic als schönes, großformatiges Hardcover  mit Schutzumschlag raus, das man einfach gerne in die Hand nimmt, um ein wenig darin zu blättern und auch im Regal macht es sich äußerst gut. Die deutsche Übersetzung ist, soweit ich das beurteilen kann auch sehr gut gelungen.

Ihr merkt schon: Mir fällt es schwer noch mehr zu diesem Band zu schreiben. Letzten Endes ist „Der gigantische Bart, der böse war“ eine Erfahrung, die jeder für sich machen muss. Ich könnte versuchen mir hier noch einen abzubrechen, aber ich glaube jedes Wort zuviel, könnte dem Lesevergnügen schaden, daher belass ich es erstmal dabei und füge nur noch meinen oben genannten Schlagwörtern die Worte „wunderschön“ und „großartig“ hinzu und ihr wisst, was ich davon halte.
Wenn ein Comic es schafft mich in einer Szene gleichzeitig zum Lachen, zum Weinen und zum Nachdenken zu bringen, dann steckt dahinter etwas ganz großes.

In Punkten ausgedrückt:

9 von 10 Friseur Armeen