Sonntag, 10. März 2013

Geliebter Affe und andere Offenbarungen (Carlsen Manga)

Geliebter Affe und andere Offenbarungen (Carlsen Manga)

13 Kurzgeschichten. Jede einzelne erzählt die Geschichte aus der Sicht eines japanischen Verlierer der Gesellschaft der Jahre 1970-1990. Einem Pensionat wird nach 35 Jahren bewusst in was für einer Hölle er lebt, ein Mangaka verliert seinen Job und wird krank, ein Teenager ist angewidert von sich selbst und der Menschlichen Natur, ein Mann will seinem Affen die Freiheit schenken. All dies und weitere Geschichten erzählt Yoshihiro Tatsumi in diesem Sammelband mit dem Titel “Geliebter Affe“.

Yoshihiro Tatsumi ist ein 1935 in Osaka geborener Mangaka der für seine sehr speziellen Kurzgeschichten berühmt wurde. Er gab seinen Geschichten den Genrenamen “Gekiga”. Dabei handelt es sich um eine selbst erdachte Wortschöpfung, die in etwa “dramatisches Bild” bedeutet. Seine herangehensweise ist sehr speziell. Meist stößt er den Leser unvorbereitet mitten in das Leben des Protagonisten. Diese sind immer auf eine oder mehrere Weisen Verlierer. Entweder sie haben unter ihren unstillbaren Gelüsten Nacht irgendetwas zu leiden, sie sind einsam, unerfolgreich, krank, depressiv oder auch einfach nur arm. Oftmals sind die Figuren vieles davon auf einmal. Er zeigt also Ausschnitte aus dem Leben der sozial schlechter gestellten, ein Blickwinkel, aus dem man die japanische Gesellschaft nur selten zu sehen bekommt. Alle seine Figuren haben Fehler und müssen unter ihnen leiden, es gibt keine Action, keinen Ausweg, keine Pointe und schon gar kein Happy End. Wie in echt wird es immer wieder schlimmer entweder man kämpft weiter oder ergibt sich seinem Schicksal. Diese sehr reale Herangehensweise macht Tatsumis Geschichten so packend. Nicht immer ist ein richtiger Handlungsaufbau vorhanden und auch eine Klimax im herkömmlichen Sinne haben die Geschichten nur selten. Stattdessen wird das Leben der Verlierer so dargestellt wie es ist, was meist nicht weit ab der Realität passiert und bis auch kleinere Momente sehr glaubhaft wirkt. Nur manchmal wird dramaturgisch durch übertriebene oder zu bemühte Szenen nachgeholfen. Lockere Unterhaltung und Spaß sieht sicherlich anders aus, wer aber einen anspruchsvollen Manga lesen möchte, macht mit “Geliebter Affe” absolut nichts verkehrt.

Das Artwork ist sehr besonders. Die meisten Charaktere sehen sehr stark nach überspitzten Karikaturen von realen Menschen aus, wie sie vor allem in Manga der alten Schule zu sehen sind. Die Männer sind meist ein wenig dicklich oder alt, hochgewachsen und hagerer Natur. Während die Frauen meist sehr idealisiert und unerreichbar scheinen, es aber dann doch meistens irgendwie sind. Bei den Hintergründen kommen diese leicht vereinfachten Muster auch immer mal wieder durch, doch öfter liegen seine Bemühungen besonders in den detaillierten Backgrounds. Dabei wird sehr viel mit Schraffuren gearbeitet. Auch bei der Tier und Pflanzenwelt, beweist er eine Auge für Details. Will man wirklich alle seine Kurzgeschichten in ihrer Gänze verstehen, muss man sich allerdings mehr Zeit nehmen als gewohnt. Denn auch wenn er seine Geschichten gradlinig und knapp erzählt, steckt doch in der Komposition der Seiten sehr viel mehr Inhalt versteckt und der ist nicht immer so leicht zu finden, wie zum Beispiel wenn eine alte Kanone aus dem zweiten Weltkrieg die Impotenz des Protagonisten widerspiegelt.

Insgesamt umfasst der Sammelband von Carlsen 300 Seiten Manga und gute 20 Bonusseiten. Der Band kommt im etwas größeren Taschenbuch Format. Leider wurde wie bei allen Manga die unter dem Graphic Novel Logo bei Carlsen erscheinen, der Inhalt gespiegelt um die Geschichten in westlicher Leserichtung abdrucken zu können. Ebenso wie bei “Kimba, der weiße Löwe”, dessen Mangaka Osamu Tezuka übrigens Tatsumis Lehrmeister war oder auch Jiro Taniguchis “Der geheime Garten vom Nakano Broadway” und “Der spazierende Mann” ist ein großer Mangel, der zugleich einen herben Rückschritt bei der Veröffentlichungspolitik darstellt. Wirklich sehr ärgerlich und vollkommen unnötig. Man sollte doch denken, wenn man sich schon zu fein ist einen Manga, Manga zu nennen, kann man wirklich so viel Respekt vor dem Künstler haben und sein Werk so veröffentlichen wie es sich gehört. Als kleine Wiedergutmachung gibt es aber ein sehr ausführliches Interview mit den Mangaka Yoshihiro Tatsumi, Yujichi Yamamatsu und Kataoka Touyou. Sowie eine sechsseitige Biographie Tatsumis und einem Nachwart des Künstlers. Positiv erwähnt werden müssen auch noch die Fußnoten, die einige unklare Begrifflichkeiten erklären können.

Dreizehn feine und zum Teil in Deutschland unveröffentlichte Kurzgeschichten vom Dramameister Yoshihiro Tatsumi. Abgesehen von der verwestlichten Leserichtung gibt es nichts auszusetzen. Wer nach der besonderen Mangakunst ist darf “Geliebter Affe” nicht verpassen.

8 von 10 in die enge getriebene Bestien in Gefangenschaft