Sex #1 (Panini)
Enthält die US-Hefte Sex #1-#8.
Simon Cooke ist schon länger kein Tween mehr, dennoch immer noch Jungfrau. Für Sex und andere Formen der zwischenmenschlichen Beziehung hatte er bisher aber auch keine Zeit. Seine Jugend verbrachte er nämlich als “Heiliger”, ein Vigilant und Kämpfer gegen das Böse in den Straßen von Saturn City und vor allem im Freiheits-Distrikt zu bekämpfen. Doch nun ist es an der Zeit, dass er wirklich erwachsen wird, sein Kostüm ablegt, endlich Erfahrungen mit Frauen macht und das riesige Familienunternehmen, die Cooke Company, als letzter verbleibender Erbe wieder in bessere Zeiten zu führen. So richtig kommt er mit seinem neuen Leben als normaler Zivilist allerdings nicht zurecht. Der normale Job nervt ihn, die starren Regeln kann er nicht einhalten und vor allem die Suche nach einer sexuellen Partnerin macht ihn Probleme. Dabei fehlt es ihm nicht an Bettbewerberinnen. Aber egal wen er in einer Bar aufgabelt oder was für atemberaubende Damen ihm nach Hause bestellt werden oder er in einem der zweifelswürdigen Etablissements der Stadt auch trifft, irgendwann schweifen seine Gedanken immer an Annabelle Lagravenese, besser Bekannt als der Catburgler Namens Schattenluchs. Früher legte er ihr oft das Handwerk, was er aber wirklich von ihm wollte und sie von ihm merkten die beiden allerdings nie und nun scheint es zu spät. Schließlich hat auch Annabelle ihr Kostüm abgelegt und führt ein gut laufendes Freudenhaus. Außerdem hat sie genauso wie Simon mit den Spätfolgen ihrer geheimen Identität zu kämpfen. Zugleich brodelt es in den Tiefen der Häuserschluchten und der Weggang des großen Helden der Stadt hat ein Machtvakuum hinterlassen, dass die Untergrundbosse nur zu gern wieder füllen wollen.
Joe Casey ist ein ziemlich aufregender Autor. Sieht man sich nur seine Mainstream Sachen bei Wildstorm (Wildcats), DC (Superman) oder Marvel (X-Men, Cable, Hulk, Dethlok, Iron Man) an, wirkt er wie ein recht unaufgeregter Typ. Hier wird nicht aus der Reihe getanzt, sondern einfache, gradlinige Comicunterhaltung geboten. Allerdings erschuf er mit “Automatic Kafka” für Wildstorm auch eine mehr als andersartige Reihe. Ebenso können “Marijuanaman”, “Gødland”, “Butcher Baker, the Righteous Maker” und andere seiner eigenen Titel bei Image beweisen, dass es sich bei Casey keinesfalls um einen Standardautor handelt. In eine ähnliche und wieder sehr spezielle Kerbe schlägt auch seine neueste Ongoing “Sex”.
Gemeinsam mit dem polnischen Zeichner Piotr Kowalski - hat unter anderem schon für Boom! “Robocop: To Live and Die in Detroit”, sowie “Cive Barker‘s Nightbreed” bebildert hat - erschafft Casey mit “Sex“ das Gegenstück zu den altbekannten Comicreihen. Während Batman und Superman dabei helfen junge Teenager, meist männlich, ihre Allmachtsfantasien auszuleben und dann dank der Übersexualisierung der weiblichen Charaktere viel sexuelle Spannung aufgebaut wird, die sich letztlich aber nie entladen kann, ist “Sex” genau das Gegenteil. Simon Cooke, gut aussehend, smart, megareich + Trauma - also ein Bruce Wayne Archetyp wie er im Buche steht - nur hat er seine schützende Maske abgelegt und versucht nun mit einem normalen Leben klar zu kommen und nachzuholen, was sein anderes Leben nicht zu ließ. Seine sexuelle Findungsreise ähnelt dabei ein ganz wenig an einen der Nebenplots aus Alan Moores “Watchmen”, wenn Nite Owl nur im Kostüm kann. Zum anderen sind eben die Parallelen zu Batman sehr offensichtlich. Vor allem da Annabelle natürlich eigentlich Catwoman darstellt, nur das man hier die Bedeutung der Hauereien zwischen dem Helden und der sexy Diebin als versteckt sexuelle Spielart sehr viel offensichtlicher und direkter ansteuert als es sich ein Autor bei Batman trauen würde.
Das Writing ist in jedem Fall ziemlich gut und der Leser wird endlich mal wieder wie ein Erwachsener behandelt. Findet man nur selten und tut der Sache gut. Sex, Gewalt und alle anderen möglichen Situationen für volljährige werden explizit und ernst dargestellt, gleichzeitig aber nie reißerisch oder exploitativ. Hier ist es vor allem Kowalski zu danken, dass er auch Massenorgien und deutlich dargestellte sexuelle Handlungen mit Klasse darstellt, sie aber trotzdem auch anrüchig, mal komisch oder einfach nur absurd aussehen lassen kann.
Überhaupt erweist Piotr sich als feinfühliger Zeichner, der es beherrscht die Stimmung der Geschichte geschickt zu steuern und mit ständig neuen, teils sehr cleveren Ideen, immer aufs neue zu überraschen und zu begeistern. Schatten werden famos genutzt, Symbolismus ist viel vorhanden und auch die Farben von Brad Simpson spielen mit der Geschichte und setzen zusätzliche Nuancen und Schwerpunkte.
Trotz all des Lobs muss aber auch gemeckert werden. Im ersten Trade sind acht Hefte enthalten und die Anzahl ist absolut notwendig um überhaupt ein wenig Handlung zu bekommen. Ich kann mir absolut nicht vorstellen diese Serie im Floppy Format zu lesen. Dazu fehlt es dem Erzählstil Caseys an dieser Stelle zu sehr an Tempo und Rhythmus. Nur sehr langsam werden die Figuren eingeführt und viel mehr passierte bisher auch noch gar nicht. Bei den meisten Nebenfiguren fehlt ihre Motivation, ihr Platz in der Geschichte und man weiß nicht mal ungefähr in welche Richtung es später gehen soll. Somit ist “Sex” ein fantastisches Vergnügen, bei dem aber die Angst im Hinterkopf bleibt, es könnte vielleicht doch nicht diese wunderbare große Handlung auf einen warten, die zur Zeit aufgebaut wird. Wenn Casey und Kowalski das Niveau halten können und inhaltlich etwas mit der ausgefeilten Welt angefangen wird, kann der Comic zum modernen Klassiker avancieren.
8,9 von 10 warme Gedanken