Donnerstag, 4. Oktober 2012

Der Baby-Jesus-Anal-Plug (Festa)

Der Baby-Jesus-Anal-Plug (Festa)

Endlich geht es mit den deutschen Veröffentlichungen von Carlton Mellick III bei Festa weiter. Nach den Kannibalen von Candyland und Ultra Fuckers kommt mit der Kurzgeschichtensammlung „Der Baby-Jesus-Anal-Plug“ neuer Lesestoff für die ganz kaputten Lesefreunde. In dem kleinen, schmucken Hardcover-Taschenbuch sind die Geschichten „Der Baby-Jesus-Anal-Plug“, „New York“, „Zuckersüß“, „Die Stahlfrühstückszeit“, „Einfache Maschinen“ und „Porno im August“ auf insgesamt 214 Seiten enthalten. Sehen wir mal nach, was der Meister der Bizarro-Fiction diesmal zu bieten hat.

Den Anfang macht die titelspendende Story, die sich um ein Ehepaar dreht, das durch einen Zufall sehr günstig an ein Jesuskindlein kommt, die in ihrer Welt als Haustiere gezüchtet werden. Ganz widerwärtige Subjekte schieben sich diesen Jesusklon in den Po und haben Spaß daran. Gesellschaftlich sind solche Menschen nicht angesehen, aber Mary und ihr Mann gehören ja nicht zu diesen Leuten. Können sie der Jesuskindlein-Verkäuferin jedenfalls weismachen. Zuhause angekommen gibt es aber sofort Poaction für den Sohn des Herren. Aber schon bald stellt sich heraus, dass es kein ganz normales Kindlein ist.

Der absolute Abfukk gleich zu Beginn. Wenige Geschichten des eh total kaputten Genres sind so merkwürdig wie diese hier. Ein ganz großer Spaß für alle mit einem schlechten Geschmack, auch wenn vielleicht nicht unbedingt für die ganze Familie. Die Handlung hat bis auf einen kleinen Dämpfer viel Tempo, ist pointiert und sicher geschrieben und wirkt nicht ganz so verworren wie andere Geschichten von Mellick. Liest sich wie aus einem Guss und kann durchgehend unterhalten und brachte mich öfter dazu, dreckig zu grinsen. Toller Einstieg in die Anthologie, doch schon hier wird klar. dass alle Mellick-Neulinge mit dieser Sammlung nicht das leichteste Vergnügen vor sich haben werden.

In New York begleiten wir einen Herren Namens Jack Kirby zu einem Date in eben die Stadt, nach der die Geschichte benannt wurde. Dort stellt er fest, dass dort niemand Nasenlöcher oder eine Mundöffnung hat. So auch sein Date. Trotzdem kommt es zum Sex oder zu etwas Ähnlichem, da die Dame nicht nur im Gesicht dicht ist.

Nach dem 50-seitigen Epos nun einen nur 14 Seiten umfassenden Angriff aufs Gehirn. Hier verknüpft der Autor gesellschaftsfeindliche Töne mit surrealen sexuellen Albtraumfantasien der Marke Cronenberg. Vieles bleibt im Verborgenen. Das Universum der Geschichte wird nur dezent skizziert, wodurch man sich ähnlich verloren fühlt wie der Protagonist. Teilweise durch die nur schwer zu erfassende Welt etwas anstrengend zu lesen, aber letztlich doch lohnend.

Danach wird’s wieder etwas freundlicher und vergnügter. Knubbel Tyler ist ein harter Motherfucker! Durchtrainiert, charmant und immer hinter den Laddaays her, wie er die Ladys ruft. Sein selbstsicheres Auftreten und seine körperlichen Qualitäten helfen aber nur wenig. Denn die meisten Frauen stehen einfach nicht auf Typen mit einem Lutscher als Kopf. Schlimmer ist aber noch, dass ihm ständig halbtote Fliegen am Kopf kleben, wenn er schwitzt. Noch viel schlimmer als das sind aber die dicken bärtigen Trucker, die ständig hinter ihm her sind. Denn die Geschmacksrichtung seines Kopfes ist Tropical Sunshine, die Lieblings-Lolly-Marke jedes Lastfahrers. Leider wird diese nicht mehr hergestellt, weshalb jeder Trucker versucht, etwas an Knubbels Kopf zu schlecken. Doch dann trifft er bei einer Käseverköstigung diese hübsche Frau, die auch noch sehr interessant zu sein scheint. Aber gerade als er erste Flirterfolge erzielen kann, schleichen sich schon die ersten Trucker an.

Herrlich komisch vom ersten bis zum letzten Satz. Splatter fehlt hier eigentlich völlig und sogar sexuelle Handlungen bleiben abgesehen vom Schlecken völlig aus. Also schon irgendwie eine recht ungewöhnliche Story. Dafür ist sie fantastisch absurd, erinnert natürlich stellenweise stark an die Kannibalen von Candyland, aber dass Verliebte sich gegenseitig in irgendeiner Form verspeisen, ist ja auch ein immer wiederkehrendes Motiv in den Geschichten von Mellick. Nur dass es hier eben genauso wie bei den Kannibalen etwas mit Süßigkeiten zu tun hat. Nach den auf verschiedene Weise anstrengenden und strapaziösen Geschichten genau das richtige für zwischendurch, vor allem in Anbetracht dessen was folgen soll.

Als nächstes ist nämlich Zeit fürs Stahlfrühstück. Ein Mann irrt durch eine verschachtelte düstere Welt voller Zombies und metallener Würmer, die jeden Menschen, den sie befallen können, zu schrecklichen Metallkunstwerken oder Zombies machen. Nach und nach ersetzen sie Blut und Organe mit Metall und bauen ihre Städte in den Körper ihres Wirts. Der Mann sucht nach einem Gegenmittel, trifft dabei auf Feinde, Verbündete, baut sich eine Frau, lebt in ihr und in anderen Wesen und kämpft schließlich gegen alles, was ihm feindlich gesinnt ist.

Stahlfrühstückszeit ist mit knapp hundert Seiten die längste Story dieses Bands und mit großem Abstand das Highlight der Sammlung. Dabei fand ich den Anfang ehrlich gesagt wirklich schlecht. Es fühlte sich erst an wie die Geschichte eines schlechteren Autoren, der versucht seinen Stil zu kopieren. Es sind zwar alle nötigen Elemente da, Splatter, absurder Sex, eine kranke Welt und so weiter, doch es war mir nicht möglich, die Realität der Story auszumachen. Normalerweise wird einem beim Lesen schnell klar, was so besonders an der Welt ist. Dies wird abgespeichert und mit dem Wissen liest man weiter. Hier kam der Moment erst nicht auf, an dem ich wusste was passiert. Es wirkte zu diffus, was zwar komisch klingt in Anbetracht der anderen Geschichten, aber auf eine bestimmte Art hat jede Geschichte von Mellick Gesetze, nach denen sie funktionieren. Nicht immer sind die Regeln dieser Welten offensichtlich, aber man fühlt wie sie funktionieren. Dies war eben hier erst nicht der Fall. Mit der Zeit bin ich dann aber doch warm geworden mit der Story und dann funktioniert sie wirklich sehr gut. Die Welt erinnert an Lynchs Eraserhead. Sie mutet sehr düster an, wobei Farben nur im Licht vorkommen und den Grad der Bedrohung durch die Sekte und durch die Würmer andeuten. Beim Plot mit der selbsterschaffenen Frau Cyn wird’s extrem absurd, aber durchaus auch immer wieder philosophisch. Tolle Geschichte mit einem, zumindest für mich, sehr holprigen Start.

Einfache Maschinen ist eine weitere sehr kurze (12 Seiten) Geschichte über einen Mann, der gefeuert wird, da sein Kopf zu laut ist. Es liegt daran, dass in ihm gerade Bauarbeiten stattfinden, denn, wie er gerade gelernt hat, ist er nur eine Art Vehikel, für 12 Miniklone von sich selbst, die in ihm Leben und die Maschine in ihm am Laufen halten. Er will seinen Frust über den Verlust seines Jobs ertränken und über die Erkenntnis, nur eine Maschine zu sein, und lernt dabei eine Frau kennen, der es ganz genauso ergeht.

Sehr kurz und abgesehen von den Miniklonen völlig ohne fantastische Elemente kommt dieser Teil daher. Alles dient letztlich nur dazu zu zeigen, wie die beiden großen Menschen sich sehr langsam näher kommen und sich gegenseitig mit Smalltalk nerven, während ihre Klone schon eine große Orgie beginnen. Also nur eine kleine Randnotiz zu unserem oftmals komischen Sozialverhalten. Für zwischendurch ganz okay, aber insgesamt nicht auffallend gut.

Abgeschlossen wird dieser Band mit „Porno im August“, Mellicks erster Geschichte bei Festa, die schon in Necrophobia 3 zu lesen war. Hier geht es um eine Pornofilmcrew, die im Ozean ausgesetzt wurde und dort auf dem offenem Meer auf den Drehstart wartet. Der Regisseur kommt aber nicht und sie treiben über Monate hinweg umher. Nach und nach versterben einige der Akteure und in ihnen ist nichts mehr als Wasser.

Man verbinde den Film Open Water mit einer Pornocrew und Alzheimer und schon haben wir Porno im August. Irgendetwas lässt alle Beteiligten sehr schnell vergessen, was gerade passiert ist, während sie umher treiben. Dadurch, dass die Geschichte aus der Ich-Perspektive einer der Darsteller erzählt wird und dieser auch immer wieder vergisst, was gerade geschehen ist, kann nicht wirklich klar gesagt werden was überhaupt los ist. Irgendwo ist da sicherlich auch Kritik an der Pornobranche zu entdecken, letztlich ist diese Geschichte aber nur ein wunderschön abgedrehter Trip. Eine Horrorstory, die es schafft dem Haihorror neuen Rückenwind zu geben und toll durchgedreht ist.

Mal wieder haben wir viel über die Abgründe unserer Fantasie gelernt. Zum Schluss kann doch alles runtergebrochen werden auf die gemeinsamen Nenner Sex, Gewalt und Süßigkeiten. Mellick bleibt ein Meister dieser auffällig anderen Geschichten und bietet wieder mal viele interessante Elemente an. Auch wenn nicht alle Geschichten gleichermaßen überzeugen konnten, sind sie doch alle auf hohem Niveau und Fans von Mellick III sollten sowieso zugreifen.

9 von 10 Schneckenträume