Das blaue Palais (1974) [Eurovideo]
Erkenntnisgewinn ist das höchste Ziel der Forscher des blauen Palais. Unter der Leitung Louis Palms (Silvano Tranquilli) haben sich die großen Köpfe verschiedener Fachrichtungen versammelt, um den Geheimnissen unserer Welt auf die Schliche zu kommen. Dabei dringt das internationale Team bis in die Grenzbereiche der Wissenschaft vor und muss unweigerlich schwierige Fragen stellen. Wie weit darf die Forschung gehen? Welche Verantwortung haben wir gegenüber der Welt, in der wir leben?
Diese in Kooperation mit dem ORTF entstandene Science Fiction-Serie wurde 1974 und 1976 auf dem ZDF ausgestrahlt. Für Drehbuch, Regie und Produktion zeichnet Rainer Erler verantwortlich. Mit dem Wunsch nicht nur gute Unterhaltung zu bieten, sondern auch dem Bildungsauftrag im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nachzukommen, wurden wissenschaftliche Berater herangezogen, was den fünf Folgen auch in so gut wie jeder Minute anzumerken ist.
Die Folgen bieten bodenständige Science Fiction, die immer versucht, nah an der Realität zu sein. Hierfür werden immer wieder lange Szenen dafür genutzt, dem Zuschauer die Grundlagen des entsprechenden Fachgebiets zu erläutern, ob es nun Genetik oder Parapsychologie ist. Zum Zeitpunkt der ersten Sendung sicherlich unfassbar genial und faszinierend, sind die Ausführungen aus heutiger Sicht eher ermüdend, da doch viele der abgefahrenen wissenschaftlichen Konzepte von damals mittlerweile Schulwissen sind.
Über den Erklärungen wird leider immer wieder vergessen, eine schlüssige Geschichte zu erzählen. Gerade in den ersten drei Folgen häufen sich Gegebenheiten, die den Zuschauer eher fragend zurücklassen, als Ereignisse und Handlungen plausibel herzuleiten. Besonders schade ist dies bei den ethischen Konflikten, die während der Forschungen auftreten. Auch hier werden besonders von Jeroen de Groot (Peter Fricke) Vorträge gehalten, in denen er die Problematik klärt und ganz klar Position gegen die aktuelle Forschung bezieht. Dennoch machen die Mitarbeiter des blauen Palais einfach weiter. Allein in der Folge „Unsterblichkeit“ zieht de Groot Konsequenzen und hält sich von der Arbeit der anderen fern. In den Folgen zuvor wird noch nicht mal vor Kidnapping und Folter („Das Medium“) zurückgeschreckt – vor Tierversuchen mit tödlichem Ausgang sowieso nicht. Das waren eben noch andere Zeiten...
Die beiden Folgen „Der Verräter“ und „Der Gigant“ setzen sich thematisch etwas von den anderen Folgen ab, geht es doch eher weniger um die Forschungen an sich als um die Korruption dieser durch wirtschaftliche Interessen. Dies wird alles sehr genau dargestellt und teilweise auch erschreckend realistisch, aber in beiden Fällen werden Unmengen an Szenen gezeigt, die weder die Geschichte noch die Charaktere in irgendeiner Weise voran bringen. In „Der Gigant“ wird unfassbar lange gezeigt wie der Chemiker Enrico Polazzo (Dieter Laser) ein neues Material erforscht und gemeinsam mit einem globalen Konzern zur Massenproduktionsreife bringt. Die Entwicklung nimmt fast die Hälfte der Folge ein, hätte aber mit gleichem Informationsgehalt und der gleichen Bedeutung für den Rest innerhalb weniger Minuten gezeigt werden können. Die konkrete Umsetzung ist daher mehr als zermürbend, auch wenn Laser seinen Charakter schon sehr überzeugend spielt.
Die darstellerischen Leistungen sind etwas durchwachsen. In den ersten drei Folgen wirkt es noch so, als wären die Charakterbeschreibungen nie so richtig klar gewesen. Jeder kocht so sein eigenes Süppchen, was sich leider auch negativ auf die Dialoge auswirkt. Oft wirkt es so, als würde niemand dem anderen zuhören, so dass es mehrere Male etwas wirr wird.
Die beiden letzten Folgen sind da schon etwas besser gestaltet. Ein Unterschied ist nicht nur dadurch zu bemerken, dass gleich vier Charaktere der Stammbesetzung von anderen Darstellern gespielt werden, sondern auch dass die Beziehungen zwischen Jeroen de Groot und Sibilla Jacopescu (Loumi Iacobesco / Evelyn Opela) und Enrico Polazzo und Yvonne Boucher (Lyne Chardonnet / Helga Anders) stärker thematisiert werden.
Auch wenn die Serie einiges an Fehlern hat und als nette Abendunterhaltung so gar nicht taugt, kann sie doch auf sehr eigenartige Art und Weise Faszination erzeugen. Diese Serie scheint fast in Vergessenheit geraten zu sein, obwohl sie doch mit großem Aufwand recherchiert wurde und ganz offensichtlich einiges an Geld zur Verfügung hatte. Andernfalls wäre nicht in jeder Folge mindestens ein längerer Auslandsaufenthalt realisierbar gewesen.
Die Faszination wird wohl zum einen durch die verquere Atmosphäre und zum anderen durch die nicht so recht greifbare Intention und Aussage der Folgen ausgelöst. Ist dies nun ein Angriff auf den Forschungsdrang oder eine Verteidigung? Die Mitarbeiter des blauen Palais handeln teilweise moralisch fragwürdig – war das gewollt oder hat man das einfach nicht gesehen? Warum macht Herr Wong ein Restaurant auf?
Um sich die Serie aber richtig schön zu reden, muss man wohl schon brennender Liebhaber der wenigen deutschen Science Fiction sein.
Die erste Veröffentlichung auf DVD besticht nicht durch ihre Qualität. Das Bildmaterial liegt in fast unbearbeiteter Form vor. Die Qualität des Bildes und des Tons schwanken ein bisschen. Bei dem Ausgangsmaterial sollte man sich wahrscheinlich aber eher freuen, dass es zumindest in dieser Qualität auf DVD gerettet wurde und somit nicht ganz verloren ist. Bonusmaterial ist in keiner Weise vorhanden, so dass man auf den 3 DVDs auf eine Spielzeit von insgesamt ca. 450 Minuten kommt.
Das blaue Palais ist kurios.
5,7 von 10 Scruffys