Der Glöckner von Notre Dame #1 - Der Tag der Narren (Splitter)
Der mittlerweile alt gewordene französische Philosoph Pierre Gringoire sitzt mit seiner Enkelin am Bach und reinigt seine Wäsche. Die kleine Dame hat aber schlechte Laune und will das Opa ihr eine Geschichte erzählt. Er entscheidet sich dazu ihr die fantastischste Geschichte seines Lebens zu erzählen, doch dazu muss er etwas früher beginnen. Denn alles fing damit an, dass eines Tages eines der schönsten Babys das man jemals gesehen hat gegen ein verkrüppeltes Kind eingetauscht wurde. Die eigentliche Geschichte beginnt 16 Jahre später, genauer gesagt am Tage des Dreikönigsfests, dem 6. Januar des Jahres 1482. Im Saals des Pariser Justizpalastes, soll ein Mysterienspiel aus der Feder von Pierre Gringoire aufgeführt werden. Der Beginn verzögert sich aber immer mehr, da auf den Kardinal von Bourbon und die flämische Gesandtschaft gewartet werden muss. Der gemeine Pöbel wird ungeduldiger und schließlich schlägt Clopin Trouillefou, Bettler und König der Aussätzigen, vor einen Narrenpapst zu wählen.
Bei einem wilden unchristlichen Fest wird der verunstaltete Quasimodo zum Narrenpapst ernannt, während im Justizpalast das Sittenspiel ohne große Beachtung von den Bessergestellten geschaut wird. Vor den Toren des Gebäudes ist nicht nur Quasimodo zu sehen, sondern auch die Esmeralda, die mit ihrem Tanz nicht nur die eine oder andere Münze verdient, sondern auch reihenweise Männerherzen erobert. Bei ihr ist auch ihre sehr intelligente Ziege Djali, die mit ihren Kunststückchen noch so manche zusätzliche Münze ergattern kann. Auch Quasimodo verliebt sich in die Esmeralda und versucht aber sie zu entführen. Zum Glück wird das Mädchen von Phoebus de Châteaupers, dem Hauptmann der Archers du Roy gerettet. Während seine Männer versuchen den schrecklichen Quasimodo zu überwältigen.
Robin Recht adaptiert hier Victor Hugos berühmten Historischen Roman “Notre-Dame de Paris” aus dem Jahre 1813. Nicht ganz so sehr wie viele andere, die diese Geschichte wiedererzählen macht er den Fehler den Glöckner oder die Esmeralda zu sehr in den Mittelpunkt zu rücken. Manchmal betrachtet er diese beiden Figuren vielleicht doch zu lange, was aber wohl daran liegt das der Comic nur auf drei Bände ausgelegt ist. Insgesamt fängt er aber ganz gut ein, dass es viel mehr als um den Glöckner und das Mädchen um Paris geht und um die gleichzeitig stattfindenden Dreikönigs- und Narrenfeste. Wie in der Vorlage ist der Philosoph Pierre Gringoire der Beobachter, aller Ereignisse, der die Geschichte zusammenhält und ihr durch seinen persönlich gefärbten Kommentar seinen Stempel aufdrückt.
Dieser erste Band schafft es ausgezeichnet die Charaktere vorzustellen. Schon nach ein paar Seiten können wir Pierre Gringoire ganz gut einschätzen. Wir lernen die Esmeralda und ihre Ziege kennen, verstehen welche Wirkung sie auf Quasimodo und den Archidiakon Claude Frollo hat. Bei letzterem schafft er es sogar auf nur wenigen Paneln auf einer einzigen Seite, dessen ganzen Charakter zu vermitteln. Wir sehen das er ein schrecklich böser Mann ist, der seinen Glauben über alles stellt und jähzornig ist. Er sieht Quasimodo als Werkzeug für seinen Willen an und alles was nicht in sein konservatives religiös geprägtes Weltbild passt, ist ihm nichts wert. Gleichzeitig wird allerdings auch klar das er durchaus in der Lage ist sich für andere aufzuopfern und ebenso versucht Quasimodo vor dem Spott der Leute zu bewahren. Zu guter Letzt wird noch offensichtlich wie sehr er hin und her gerissen ist zwischen den Gefühlen die er für die Esmeralda hegt und seiner Abneigung ihr Gegenüber, da sie für sein Verständnis nur eine minderwertige Zigeunerin ist. Außerdem steht das was er empfindet ganz im Gegensatz zu seinem kirchlichen Gelübde. Als eine der ersten Figuren bekommen wir Clopin Trouillefou zu sehen, den König der Andersartigen und auch einige weitere wichtige Charaktere wie Guillaume Rousseau und Phoebus de Châteaupers werden schon im ersten Band ausreichend vorgestellt.
Der Adaption kann man soweit also nichts vorwerfen. Da Recht allerdings auch für die Storyboards zuständig war, könnte man kritisieren, dass er sich nicht wie in der Vorlage Zeit nimmt um klassische Bauwerke in Paris ausgiebig zu betrachten. Es hätte ja nicht derartig in Architekturfetischismus ausarten müssen, wie es im Roman Brauch ist, aber es gibt hier nicht mal einen richtigen Blick auf Notre Dame. In Anbetracht dessen, wie wichtig Hugo die Architektur und die Bewahrung historischer Gebäude war hätte zu diesem Punkt etwas mehr geboten werden müssen. Vor allem da einige episch erscheinende, textlose Seiten, die bestimmte wichtige Orte sehr dezidiert zeigen, auch Atmosphärisch noch etwas mehr aus dem Comic holen könnten.
In Anbetracht der Schönheit des Artworks ist dies aber ein Kritikpunkt, der wohl niemanden stören wird. Letztlich wird auch hierfür nur die Beschränkung auf drei Alben schuld daran tragen, dass Recht sich derart kurz fasst. So oder so sind die Zeichnungen jedenfalls jeglichen Zweifels erhaben. Das Cover gibt schon einen ganz guten Eindruck davon wieder was im Inneren des Hardcover Albums auf den Leser wartet. Die Stimmung der fein getuschten Bilder ist düster melancholisch. Allem steckt eine gewisse Traurigkeit inne, aber genauso auch etwas fantastisches, faszinierendes. Der Tanz der Esmeralda wurde wirklich schön umgesetzt und beim Kampf zwischen dem Buckligen und der königlichen Wache entsteht Spannung und sogar eine leicht unheimliche Atmosphäre. Dadurch, dass Quasimodo während des Kampfs ein wenig an einen Troll erinnert und Poebus als düsterer aber doch schillernder Held heranbraust hat das Ganze eine leichte Highfantasy Note, die diese Sequenz noch etwas eindringlicher und unvergesslicher macht. Jean Bastides Zeichnungen & Farben sehen nicht nur schön aus, sondern erzeugen beim Leser auch so manche Emotion. Seine Akribie ist dabei recht ausschweifend und lässt manche Seiten schon fast wie Ölgemälde wirken.
Diese neue Comicvariante der Notre Dame Geschichte wiederholt nicht die Fehler vieler anderer Umsetzungen des Ausgangsmaterials und verleiht der Handlung eine dezente eigene Note ohne sich von der Vorlage zu entfernen. Wenige kleine Makel gibt es schon, diese werden aber vermutlich nur wenige wirklich stören und von den meisten gar nicht bemerkt werden, da sie zu tief in die Handlung eingetaucht sind.
8,7 von 10 steppende Ziegen