Amer - Die dunkle Seite deiner Träume (2009) [Koch Media]
Die kleine Ana lebt mit ihren Eltern in der alten Villa der Familie. Der Großvater ist kürzlich verstorben und liegt präpariert im Nebenzimmer. Als wenn das in Verbindung mit dem alten Gemäuer nicht genug Albtraum für ein kleines Mädchen wäre, wird sie von ihrer gespenstischen Großmutter durchs Schlüsselloch beobachtet...
Die heranwachsende Ana geht mit ihrer Mutter ins Dorf, um Besorgungen zu machen. Im Zuge der Pubertät erlebt sie ihren Körper anders als zuvor und bemerkt und genießt die veränderte Wahrnehmung des anderen Geschlechts. Dies führt jedoch auch zum Konflikt mit ihrer Mutter, die sich selbst ihr Alter und die Tatsache eingestehen muss, dass ihre Attraktivität neben ihrer Tochter vermindert scheint...
Die erwachsene Ana kehrt in die mittlerweile verlassene Villa zurück. Sie kann das Gefühl nicht abschütteln, dass sie nicht allein in dem heruntergekommenen Gebäude ist. Quietschte nicht gerade das Tor, war da nicht ein Rascheln? Realität und Wahn geben sich die Klinke in die Hand...
Französisch/belgisches Kunstkino und eine Hommage an den italienischen Giallo – so wird Amer beschrieben und das trifft es eigentlich auch ganz gut.
Glücklicherweise fällt Amer nicht ganz in den Bereich des komplett sinnentleerten „Kunstkinos“. Der Film zeigt drei wichtige Episoden im Leben von Ana.
Die erste Episode ist äußerst bedrückend. Die kleine Ana versucht, sich in einer unheimlichen und ihr anscheinend feindlich gesinnten Welt zurechtzufinden. Immer wieder von der verschleierten Gestalt der Großmutter – wobei man nur vermuten kann, dass dies die Großmutter ist – beobachtet, wird sie von der Leiche des Großvater angezogen und schleicht in das Zimmer. Die Episode wird immer beklemmender und verstörender, sobald Anas Fantasie mit ihr durchgeht. Das Bild wechselnd in Primärfarben zu tauchen unterstreicht die Abltraumhaftigkeit Anas Erlebnisse nur noch. So wird auch der zufällig beobachtete Liebesakt der Eltern zum Grauen.
An sich ein ordentlicher in sich geschlossener Horror-Kurzfilm, der mehrere Elemente beinhaltet wie z.B. die Uhr, die Ana aus den knochigen Händen ihres Großvaters befreit, die mannigfaltige Interpretationen zulassen.
Leider bleibt vom Horror und der verstörenden Stimmung in der zweiten Episode nichts erhalten. In teilweise elendig langen Einstellungen wird hier zwar gekonnt und mit einem leichten Augenzwinkern Anas erwachende Sexualität und veränderte körperliche Wahrnehmung dargestellt. Dagegen ist zumindest, was den Stil betrifft, kaum etwas zu sagen. Die Intensität der Empfindungen wird durch fast schon hyperreale Darstellung in Bild und Ton an den Zuschauer weitergegeben, sodass dieser den Schweißtropfen an der Stirn oder den Lufthauch, der bis unter die Kleidung dringt, in seinem Kopf zu einem eigenen sinnlichen Erlebnis zusammensetzt. Das ist top, ganz abgesehen davon, dass ich zum ersten Mal in einem meiner Reviews das Wort „sinnlich“ verwendet habe. Dieser fast schon überreizte Stil ist allen drei Episoden eigen, doch die Episode über Anas Adoleszenz fehlt im Gesamtkonzept des Films irgendwie die Relevanz. Es werden kaum Motive der beiden anderen Teile aufgegriffen, sodass sie zwar stilistisch großartig umgesetzt, aber inhaltlich nicht ganz passen möchte.
Anas Rückkehr in die Villa ist schon eher wieder in Verbindung mit der ersten Episode zu bringen. Nicht nur durch das Gebäude, sondern auch durch eine nicht zu erkennende umherschleichende Person und der damit einhergehende drohende Gewalt können Parallelen gefunden werden. In dieser Episode wird Anas Psyche etwas deutlicher, was letztlich zu einem blutigem Ende des Films führt. Leider wird hier auch noch ein Versuch, den Zuschauer zu überraschen und zu verunsichern, nachgeschoben, der aber etwas halbherzig daherkommt.
Was sich insgesamt gar nicht mal schlecht anhört, funktioniert als Film nicht ganz so gut, wie es könnte. Der Stil ist, wie schon geschrieben, großartig. Selten sieht man körperliches Empfinden in einem audiovisuellem Medium so gut umgesetzt, dass der Zuschauer das Gefühl bekommt, mit den eigenen fünf Sinnen daran teilzuhaben. Das ist eine große Leistung, doch sollte das nicht dazu führen, das kein bzw. wenig Inhalt mehr vorhanden ist. Ich möchte damit nicht sagen, dass Amer keinen Inhalt hat. Für sich allein können die drei Episoden eigentlich bestehen. In einen Film gepackt, wird man das Gefühl nicht los, dass es nur um den Stil ging und nicht darum, eine Geschichte zu erzählen.
Die Blu-ray kommt mit klasse Bild daher. Nur in den Day for Night-Szenen der letzten Episode gibt es mal kleinere Absacker. Die Tonqualität ist richtig gut, was bei diesem Film wirklich wichtig ist. Zum einen, weil der Soundtrack aus dem Italien der Siebziger begeistern kann, zum anderen, weil die klangliche Gestaltung mehr oder weniger wichtigster Aspekt dieses Films ist.
Auf der Disc sind neben dem Hauptfilm noch mehrere Kurzfilme des Duos Cattet und Forzani, die eben auch für Amer verantwortlich sind. Die Kurzfilme konnten mich nicht wirklich überzeugen, da sie alle doch in leicht unterschiedlichen Kompositionen die gleichen Motive und Themen behandeln.
5,3 von 10 auf einem Rasiermesser knirschende Zähne