Blast #1: Masse (Reprodukt)
Nach langer Suche konnte die Polizei den mutmaßlichen Peiniger der Carole Oudinot gefunden und bitten ihn zum Verhör. Der verdächtige Polza Manzini ist ein großer, sehr fettleibiger Mann, der irgendwann scheinbar ein recht normales und gutes Leben führte. Er hatte keine tolle Kindheit, aber als Erwachsener fand er eine schöne Frau die trotz seines Äußeren bereit war ihn zu heiraten und beruflich war er auch nicht unerfolgreich als Autor seiner kulinarischen Abenteuer. Wie er den Polizisten allerdings häppchenweise erzählt, änderte sich sein Leben von einem, auf den anderen Moment. Als sein Vater an Krebs starb hatte er eine seltsame geistige und bewusstseinserweiternde Erfahrung. Ganz kurz war er schwerelos und konnte trotz des Fetts schweben und für kurze Zeit war seine Welt nicht mehr grau. Dieser “Blast” wie er es nannte wurde zu seinem Lebensinhalt und zu dem einzig erstrebenswerten. Über Nacht verließ er seine Frau, nahm ein paar Sachen mit sich und ging in den Wald, dort begann er alleine zu leben, der Natur zu lauschen und dem Alkohol zu frönen. Stets in der Hoffnung er würde noch einen Blast miterleben dürfen.
Bisher habe ich Manu Larcenet nur durch seine drei “Die wundersamen Abenteuer von…” wahrgenommen. Die Alben waren sehr komisch, oft mit Tiefsinn garniert und insgesamt angenehm zu lesen. Seine Blast reihe habe ich erstmal nicht als eine Arbeit von ihm wiedererkannt und für hässlich befunden. Irgendwo habe ich dann aber aufgeschnappt was für ein krasses Erlebnis dieser Comic sein soll, also habe ich mir das Ganze mal in er Leseprobe angeschaut. Immer noch hässlich aber irgendwie sehr reizvoll und inhaltlich anscheinend voll mein Ding.
Nachdem der erste Ban “Masse” bei mir eingetrudelt war, dachte ich mir grad man könnte mal kurz reinschauen und nach ein paar Seiten lies sich die dicke Schwarte nicht mehr weglegen und ich bin durch damit. Wenn ich euch jetzt sage, ich würde am liebsten sofort mit dem zweiten Band weiter machen, dann könnt ihr euch ja ungefähr denken wie mir der erste Blast gefallen hat.
Die Geschichte beginnt mit der Verhaftung des dicklichen Mordverdächtigen, woraufhin Polza selbst die Narrative in die Hand nimmt. Dabei verneint er seine Tat zu keiner Zeit, erwähnt sie aber auch nicht weiter. Es liegt ihm nämlich zuerst am Herzen den Polizisten zu erklären wer er ist und wie er so wurde. Er skizziert seine Kindheit und seine Jugend sehr grob, redet vom Verhältnis zu seinem Vater, dessen Tod und widmet sich dann sehr ausführlich den ersten Tagen als Penner. Wie er in den Wald geht und dort auf Hungerleider trifft, die gemeinsam und versteckt in einem Renaturierungsgebiet leben. Kurz wird er bei ihnen aufgenommen, doch seine Suche nach dem Blast lässt ihn alleine bleiben.
Trotz des Umfangs von knapp über 200 Seiten erfahren wir letztlich nur wenig brauchbares über die Hauptfigur. Seine Äußerungen bleiben sehr vage und oft, wie wir durch Blicke hinter die Kulissen der Befragung durch die Polizei erfahren, spricht er auch nicht unbedingt die Wahrheit. Vielmehr scheint er etwas aufzubauen, was die Polizisten ihnen abnehmen sollen. Neben dem Verdauen von philosophischen Monologen wird vom Leser auch erwartet, dass zu jeder Zeit mitdenkt, ob Polza einfach nur wahnsinnig ist, ob hinter seiner Geschichte wirklich mehr steckt, ob er die Polizei nur täuschen möchte oder ob er wirklich ein kaltblütiger Gewalttäter ist, der nur einen unzurechnungsfähigen Mann vorgaukelt. Andeutungen gibt es auf jeden dieser Punkte. Gerade durch die überlegten Äußerungen des Verdächtigten wird es schwer wirklich zu erahnen was vor sich geht. Er wirkt manchmal so als würde er seine Geschichte extra mit philosophischen Aussagen anreichern um intelligenter zu wirken, um auch mal wichtig zu sein. Gleichzeitig ist aber ganz klar, dass sein eingeschlagener Weg für einen Durchschnittsbullen durchaus vollkommen wahnsinnig wirkt.
Aber egal was in den Folgebänden herauskommen wird, schon jetzt ermutigt die Reihe zum Mit- und Nachdenken und einer ungebremsten Erzählart, die so manches mal Dinge in den Raum stellt, die so eigentlich nicht sein dürfen oder die niemand äußert. Die Hauptfigur ist zugleich abstoßend, wie auch Mitleids erregend. Sein verhalten wirkt mal vollkommen wahnsinnig, dann wieder nur wie der Junkie, der er nun mal ist, dann wieder überlegt und intelligent. Er ist ein Moralapostel und völlig amoralisch. Man kann die Figur einfach nicht richtig einschätzen und so könnte es von hier aus in alle Richtungen weitergehen. Man darf gespannt sein.
Im Bild setzt Manu Larcenet die Widerlichkeit seiner Hauptfigur gekonnt in Szene. Ihr müsst euch Polza vorstellen wie den Pinguin aus Batman, nur dicker und mit einer größeren Nase. Zudem frisst er noch auf eine widerliche Art und später wird er auch noch schmuddelig und ist komplett mit seinem eigenen Blut besudelt. Auch sein Vater ist eine groteske Figur genauso wie die Herrschaften die er im Wald kennenlernt. Während seine Figuren in seinen großartigen Tusche Malereien wie Karikaturen wirken, achtet er bei der Natur, vor allem bei den dargestellten Tieren sehr auf Realismus und Details. Richtig cool ist auch der Regen und manchmal auch das Gras. Beides wird oft nämlich in die Panel gekratzt. Abgesehen davon ist es auch durchgehend immerzu dreckig und jede Seite ist in der Lage schlechte Laune zu fabrizieren. Farbe kommt nur während des Blasts zum Einsatz und zwar in Form von Kinderzeichnungen, mit Filzern und Buntstiften, die auch wirklich von Kindern stammen und sich auf absurde Art irgendwie sehr natürlich in das trostlose Artwork fügen.
Blast ist ein sehr fesselnder Comic, der vom Leser viel Aufmerksamkeit erwartet. Die Handlung geht gemächlich voran und wird dabei gleichermaßen vom Artwork, wie von den Dialogen getragen, wobei beides reduziert wirkt, was der emotionalen Leere der Geschichte zuträglich wird. Ich kann “Masse” jedenfalls nur jedem empfehlen, der einen ganz besonderen Comic verschlingen möchte.
9,2 von 10 Straßenkinder mit Handy