Sonntag, 25. Mai 2014

Emma hat Flügel (2014)

Emma hat Flügel (2014)

In Zeiten explodierender Produktionskosten und massentauglicher Filme von der Stange, zieht es immer mehr Kunstschaffende hin zu selbst- oder gesellschaftsfinanzierten Indie-Filmprojekten. Solche kleinen Produktionen mit wenig Budget aber viel Liebe zum Film, fachsprachlich als Mumblecore bezeichnet, sind treibende Kraft der Hamburger Film- und Theatergruppe "Radikal & Arrogant". Neben Kurzfilmen, wie "Utøya - Utopia" und "BAAL. MACHT. GREUEL.", erscheint mit "Emma hat Flügel" nun ihr zweiter richtiger Spielfilm.

Emma (Anna Berg) ist Künstlerin und lebt ohne festen Wohnsitz in den Straßen von Hamburg. Sie verbringt ihre Tage mit allerlei Street-Art Aktivismus und hat ihren Kopf ständig in den Wolken, wie ihre Oma immer sagte. Ein bisschen Geld verdient sie dadurch am Elbufer Bilder für interessierte Passanten zu malen. Einer dieser Neugierigen ist der junge Theo (Lars Kokemüller). Theo ist erst seit kurzem in Hamburg und für sein Journalismusstudium aus der schleswig-holsteinischen Provinz hier in die Großstadt gezogen. Am Ende eines interessanten Gespräches, in dem eigentlich Theo die meiste Zeit spricht und Emma malt, hält er ein skurriles Bild in den Händen. Ein leuchturmhafter Penis ragt in den blauen Nachthimmel, dessen Zenit Sterne, Pizzastücke und ein Herz zieren. Eine Reminiszenz dessen, worüber er mit Emma gesprochen hat und somit ein Bild seiner Selbst, so denkt er. Ihm gefällt das Bild sehr und zwar so, dass er die liebenswerte Künstlerin gern wiedersehen würde. In einer romantischen Aktion klebt er daher in ganz Hamburg Flyer mit der Bitte, an die Zeichnerin des abgedruckten Bildes, sich zu melden.
Da die Hafenstadt nun manchmal doch nicht so groß ist, wie man glaubt, begegnet ihm, kurz nach dem Plakatieren, Emma zufällig auf der Straße. Die beiden verstehen sich gut und in den folgenden Tagen scheint sich etwas zwischen den Beiden zu entwickeln. Zumindest von Seiten des jungen Studenten, doch die freigeistige Künstlerin und der naive Jüngling sind auf Grund ihrer Lebensumstände sehr verschieden, vielleicht sogar zu sehr.

Der Spielfilm schlägt in seinen knapp 75 Minuten sehr melancholische Töne an. Besonders in den überwiegend von Emma geprägten Szenen scheint eine junge, von Leben und Umwelt geprägte Frau durch, die unabhängig wirkt und doch innerlich zerrissen ist. Der Charakter wird dabei bemerkenswert gut von Anna Berg verkörpert, die bereits in allen anderen Produktionen der Gruppe mitwirkte und hier in ihrer ersten Hauptrolle brilliert. Ihre gekonnte Darstellung der jungen Künstlerin greift auf subtile Weise diese inneren Konflikte auf, gibt aber nie zu viel Preis, wodurch der Zuschauer Interesse an der Figur und ihrem Hintergrund entwickelt. Leider bekommt sie letzten Endes jedoch nicht die angerissene Tiefe, die sie verdient hätte.
Der Film ist in seiner Gesamtausstrahlung sehr ruhig und verwendet dafür oft statische, leicht vom Geschehen distanzierte, Kameraperspektiven die für eine kleine Produktion allerdings wirklich gekonnt inszeniert wurden, auch wenn für meinen Geschmack an der ein oder anderen Stelle, besonders bei großzügigen Monologen, ein Kamerawechsel gut getan hätte. 
Die grade erwähnten Monologe, sowie alle Dialog entstammen dabei der Feder von Regisseur, Schauspieler und Musiker Lars Kokemüller. Ein Problem, dass viele mir bekannte Indie-Film Projekte haben sind holprige, unechte Dialoge. Er findet hier eine ehrliche und direkte Sprache, welche besonders die Gespräch lebendiger wirken lässt. Jedoch neigen diese teils zum Kitsch oder es gibt einfach Momente des Schweigens, die grundsätzlich gut platziert wurden, aber etwas zu lange anhalten und die Situationen dadurch unangenehm wirken lassen.
Die musikalische Untermalung stammt von Kokemüllers Band E123 und wurde extra für den Film produziert. An den meisten Stellen empfand ich den Score als unterstützend mit einer Tendenz dazu ins antiklimatische zur Stimmung des Films abzurutschen. Die Songs sind hingegen mit textlichem Bezug zur Handlung gut platziert und durchaus überzeugend.

"Emma hat Flügel" ist ein Indie-Film mit einer starken Hauptdarstellerin, einem gewissen Coming-of-Age Flair und einer melancholischen Grundstimmung. Die überwiegend ausgefeilten Dialoge und nachdenklichen Erzählpassagen fügen sich trotz eines manchmal fehlenden roten Fadens gut in das Gesamtbild ein.


6.8 von 10 seltsamen S-Bahn-Fahrten