Transmetropolitan #1: Schöne neue Welt (Panini)
Dieser Sammelband enthält die US-Hefte Transmetropolitan #1-#12.
Spider Jerusalem ist investigativer Journalist einer total kaputten Welt. Durch sein Buch “Schuss in die Fresse” wurde er zum Star des Gonzo-Journalismus aber sein Kultstatus trieb ihn aus der seelen- und namenslosen Stadt. Fünf Jahrelang nistete er sich in seinem abgelegenen Haus in den Bergen ein. Umringt von merkwürdigen Mittelchen und unendlich vielen Waffen hielt er sich die Außenwelt ziemlich sicher vom Laib. Doch dann verändert ein Anruf alles. Sein Verleger weißt ihn darauf hin das sein Vertrag noch nicht erfüllt ist. Spider muss noch zwei Bücher abliefern. Vollkommen am Ende seiner nerven, gefrustet, paranoid und soziopathisch kehrt er zurück in den Dreck der Stadt. Alles ist laut und widerlich. Da er absolut keine Kohle mehr hat kehrt er zur Zeitung “The Word” zurück, für die er seine Kolumne “Ich hasse diese Stadt” schreibt. Dafür muss er natürlich vor Ort recherchieren was ihn in Kontakt mit den abstrusesten Gestalten bringt.
Ich habe es ja eh nicht wirklich mit der objektiven Betrachtung bei meinen Reviews. Bei diesem Comic ist es allerdings ganz extrem. Ich liebe Spider, mich fasziniert die Welt in der er lebt und ich glaube Warren Ellis (Supergod) hat mit der Reihe eine der größten Comicreihen meiner Generation erschaffen. Was Watchmen für die Comicleser der Achtziger war, bedeutet Transmetropolitan für die Neunziger. War es in Watchmen noch die Angst vor der atomaren Zerstörung, so triebt Ellis der Hass auf alles in der Welt an. Ebenso wie Fight Club fürs Medium Film, ist Transmetropolitan ein ausgestreckter Fickfinger an eine Gesellschaft, die so reich wie noch nie war, ihren Bewohnern aber nichts mehr zu bieten hat.
In Transmetropolitan reist Ellis mit uns weit in die Zukunft in der alle Probleme unserer Zeit auf die Spitze getrieben werden, dabei aber immer noch schmerzliche nahe an der Realität, nur eben fein persifliert. Durch den ganzen Scheiß werden wir von Spider geführt. Einem Journalisten der alles dafür tut den korrupten Machthabern auf die Nerven zu gehen und der versucht die schweigende Masse dazu zu bewegen endlich etwas gegen den Verfall des Miteinanders und der Welt zu tun. Der stark tätowierte Mann mit der auffälligen Brille, war solange der einzige normale Mensch auf der Welt bis der Wahnsinn ihn vollkommen gebrochen hat. Durch seine Kolumnen macht er die Welt irgendwie immer wieder ein Stück besser. Allerdings richtet er gleichzeitig auch so viel Schaden das es sich irgendwie wieder ausgleicht. Trotzdem bleibt er immer der sympathieträger egal wie kaputt er auch sein mag. Das sein Charakter ganz offensichtlich an Hunter S. Thompson angelegt ist, ist sehr auffällig, trägt aber zum Kultcharakter des ganzen bei.
Jedes Heft behandelt immer die Recherche zu einer der Kolumnen, dadurch bekommt die Reihe einen sehr episodischen Erzählstil, durch den man eigentlich auch an jeder Stelle wieder einsteigen kann ohne total verloren zu sein. Andererseits wird man fürs aufmerksame Lesen immer wieder belohnt. Was in einem Heft noch wie ein sinnloser und schnell vergessener Gag wirkt, erklärt sich oftmals einige Hefte später. Teilweise lässt Ellis irgendeine Aussage fallen und präsentiert erst einige Hefte darauf eine Pointe dafür. Das zieht sich durch den gesamten Band. Irgendetwas ist im Hintergrund eines Panels versteckt und irgendwann später wird daraus ein zentraler Plotpunkt. So gibt es in Jedem Kapitel auch schon irgendetwas, das auf den Inhalt des nächsten Kapitels hinweist.
In Punkto Sex, Gewalt, Fäkalhumor geht Ellis hier keine Kompromisse ein. Zudem lässt er kein gutes Haar an Politkern, wobei ihm Tony Blair ein ganz besonders großer Dorn im Auge gewesen sein muss, aber auch religiöse Eiferer bekommen ihr Fett weg, genauso wie alle anderen repressiven Institutionen. Oftmals wütet Ellis wie Rumpelstilzchen durch den Wald und schreit einfach nur Fuck. Ich vermute auch manchmal dass nicht viel mehr im Skript stand als eine Unzahl von Fucks. Der Humor ist jedenfalls derbe und die Medien-, System- und Gesellschaftskritik ist brutal und trifft oftmals empfindliche Punkte.
Der arme Irre, der Ellis Wahn in Bilder transferieren sollte war Darick Robertson. Damals nur bekannt als Zeichner für ein paar DC Titel und einen Run bei Marvels New Mutants, betrat er hier ungewohntes Terrain. Heute kennt man ihn vor allem für seine Arbeit an dieser Serie, so wie an “The Boys” von Garth Ennis. Im Moment feiert er erneut großen Erfolg mit “Happy!” von Grant Morrison. Am ehesten erinnern die Zeichnungen an den expressionistischen Stil von John McCrea den er bei Hitman gerne angewandt hat. Allerdings arbeitet Robertson zugleich sehr viel sorgfältiger, wie auch einfallsreicher uns sauberer. Bei dieser Serie braucht man für jedes Heft sehr viel länger als normal. Es gibt einfach zu viel zu entdecken. Hinzu kommt noch, dass viele der hintergründigen Anspielungen noch wichtig werden oder Dinge besser erklären oder einfach nur Gags vorbereiten. Man muss nur allein darauf achten wie viele Popkulturelle Anspielungen es zu sehen gibt sobald wir einen Wideshot der Stadt zu sehen bekommen. Von Abwandlungen alter Cartoons aus den 30’ern, über Parodien auf Frühstücksflockenwerbung, bis hin zu versteckten Comiccovern damaliger Independent Comics es gibt viel zu entdecken. Wenn auf der Straße Gruppen von Menschen stehen sieht Niemand aus wie der Andere, jede Figur, auch wenn sie nichts mit der Handlung zu tun hat, bekommt ein vollkommen eigenes Design. Da ist dann auch wirklich alles dabei. Mann im Superman Kostüm, Echsensektenanhänger, Verschwörungstheoretiker, Zirkusartisten, Polizeihunde, Taxipferde, Menschen die sich zu Staubwolken gemacht haben und Kindern Blumen schenken (lange Geschichte), eine Katze mit einanhalb Köpfen und, und, und. Der Ideenreichtum nimmt hier nie ein Ende und sucht seines gleichen.
Dabei ist vor allem Spiders irre Mimik ein Höhepunkt jedes Panels. Auch die Ideen bei den Bewegungsabläufen sind außerordentlich. Da wäre zum Beispiel die Szene mit Spider und seinen Air Jesus Schuhen. Sicherlich nichts was die Sequentielle Kunstform revolutioniert, aber urkomisch und sehr clever. Man hat auch keine Angst gleichzeitig ernste Themen zu sezieren und gleichzeitig irre albern zu sein. Toll ist übrigens auch, wie das Logo der Serie, ein dreiäugiger Smiley immer dem Inhalt der Kolumne angepasst wird. Ein weiterer Punkt, durch den die Serie erst so verdammt gut geworden ist, wie sie nun mal ist, sind die Cover. Jedes davon hat was anziehendes oder abstoßendes an sich. Jedenfalls sehen sie nie gewöhnlich aus und können immer Interesse wecken. Neben Robertson stammen die Cover dieser zwölf Ausgaben auch noch von Geof Darrow, bekannt geworden durch seine Zusammenarbeit mit Frank Miller an Hard Boiled (hierzulande bei Cross Cult erschienen), Arbeiten mit Moebius und wohl vor allem als Designer des Looks in den Matrix Filmen. Die drei übrigen Cover hat Frank Quitely zu verantworten der auch an einem meiner Lieblingscomics, nämlich WE3 gearbeitet hat (zusammen mit Morrison).
1997 erschienen die hier abgedruckten zwölf Ausgaben bei Helix, dem sehr kurzlebigen Science-Fiction Imprint von DC, das es leider nur von 96-98 gegeben hat. Danach ging es beim anderen Impring Vertigo weiter, wo die Serie ihr geplantes Ende mit Ausgabe 60 gefunden hat, dabei sah es zu Beginn relativ schlecht aus. Da Verkäufe waren sogar derartig schleppend, dass Ellis nicht daran glaubte mehr als eine Handvoll Ausgaben auf den Markt zu bekommen. Etwas besonderes an Transmetropolitan ist übrigens noch der Fakt, dass Ellis und Robertson die Rechte an ihren Ideen nicht an DC abgegeben haben. Auf englisch bekommt ihr alle 60 Ausgaben zehn Trades und zwei Sonderbänden. Auf deutsch waren die Comics bisher nur beim Speed Verlag in 32 Alben zu bekommen. Mit der Neuauflage von Panini bekommt die Serie endlich eine verdiente Edelvariante. In fünf Hardcover Bänden wird die gesamte Serie von nun an in sehr hübscher Aufmachung erscheinen. Ich würde mir nur wünschen, dass in den nächsten Bänden noch ein paar Extras hinzukommen. Hier gibt es außer einem Vorwort von Garth Ennis nämlich keinen Bonus Content.
Transmetropolitan gehört zu den besten Comics aller Zeiten und steht für mich auf selber Stufe wie Watchmen oder auch Preacher.
10 von 10 explodierende Arschköpfe die vorgeben ein Sohn zu sein (was für ein Tag)