Gewalt entsteht im Kopf (Klett-Cotta)
Menschen sind gewalttätig. Das ist eine unumstößliche Tatsache. Aber was führt dazu, dass Menschen anderen physischen und psychischen Schaden zufügen? Was geht in ihnen vor und kann man aus ihren Handlungen heraus Rückschlüsse auf ihre Motive ziehen? Anhand verschiedener Filme und Fallbeispielen versucht Michael Günter einen Einblick in die Mechanismen der Gewalt zu geben.
Der Autor Michael Günter, Prof. Dr. med, ist kommissarischer Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Universität Tübingen. Klasse.
Er erklärt in diesem Buch verschiedene Aspekte menschlicher Gewalt, sei es z.B. Gewalt aus einem Schuldgefühl heraus oder Gewalt in Verbindung mit Sexualität. Zur Förderung der Zugänglichkeit für Laien nutzt er insgesamt 6 Filme. Die Filme sind „Spiel mir das Lied vom Tod“, „Krabat“, „Uhrwerk Orange“, „The Dark Knight“, „Terminator“ und „Sleepers“. Das war auch einer der Hauptgründe, warum ich dieses Buch überhaupt als interessant empfand. Natürlich auch die Hoffnung, dass ich als Unwissender Wissen erlange und gerade in Bezug auf genannte Filme vielleicht mal eine andere Perspektive zu erfahren bekomme.
Terminologisch gestaltet der Autor seine Aussagen durchaus verständlich, leider verfängt er sich öfter in Wiederholungen bzw. erneuten Zusammenfassungen eben vorgebrachtem. Auf die Dauer ist das eher ermüdend und führt dazu, dass man den Gedankengängen nicht immer gänzlich folgen kann. Ebenso unzuträglich für das Verständnis der einzelnen Kapitel ist die Tatsache, dass die Verbindung zwischen Film-, Fallbeispielen und den Erklärungen des Autors nicht immer offensichtlich ist.
Das ist schade, denn gerade Kapitel 1, 3 und 5 bieten interessante Ansätze. Kapitel 1 behandelt Gewalt aus Leidenschaft, was eben auch die schon erwähnte Verbindung zu Schuld- und Schamgefühlen beinhaltet und anhand von „Spiel mir das Lied vom Tod“ erklärt wird. In Kapitel 3 geht es um „Die Lust an der Macht und die Herrschaft des Schreckens“, in dessen Zusammenhang das Konzept der „identifikatorischen Projektion“ erläutert wird. Im Grunde geht es bei dieser Projektion darum, dass, so unangenehm das für viele ist, z.B. bei Nachrichten über eine grausame Gewalttat insgeheim ein Lustgewinn bzw. eine Identifikation mit dem Täter bei gleichzeitiger äußerlicher Missbilligung stattfindet. Verschiedene Grade der Persönlichkeitsorganisation werden durch die Charaktere Batman, Harvey Dent / Two Face und Joker im fünften Kapitel beschrieben.
Es ist etwas unheimlich, dass, auch wenn im Buch meist Extrembeispiele verwendet werden, man doch immer wieder Prozesse und Beschreibungen emotionaler Zustände aus dem Alltag wiedererkennt.
Günter versucht in den letzten beiden Kapiteln, die zuvor beschriebenen Formen der Gewalt zum einen gesellschaftlich einzuordnen, zum anderen Geschlechtern zuzuordnen. Was durchaus gute Ideen umfasst und zu einem reflektierterem Umgang mit Gewalt, sei es alltäglich oder extrem, aufruft. Die geschlechtsspezifische Zuordnung ist allerdings – auch laut eigener Aussage – zunehmend weniger haltbar.
Alles in allem kann man das Buch mal gelesen haben. Es ist jedoch formal etwas holprig und es hätte vielleicht noch mal jemand, der die Fakten über die Filme kennt, drüberschauen sollen, da manche Namen nicht korrekt und z.B. Terminator 1 auf einmal im Jahr 1994 in die Kinos kam. Die neuen Einsichten halten sich im Rahmen. Teilweise wirken die Interpretationen etwas erzwungen bzw. für Laien befremdlich. Arnie als aggressiver Part eines Mutterobjekts lässt einen dann doch kurz schmunzeln.
5,5 von 10 grau melierte Herren, beim Häuten einer Zwiebel erwischt