Montag, 11. Februar 2013

Habibi (Reprodukt)

Habibi (Reprodukt)

Dodola wurde als kleines Mädchen mit einem Kaligrafen verheiratet, von dem sie nicht nur schreiben und lesen, sondern auch die schönsten Sagen der Bibel, des Korans und anderer Mythen beigebracht bekam. Doch der Kaligraf wurde bald von Banditen getötet und Dodola nahmen sie mit sich. Auf einem Sklavenmarkt trifft sie kurz darauf den kleinen Zam, den sie vor dem Tod rettet und schließlich mit ihm aus der Gefangenschaft flieht. Neun Jahre lang leben die beiden versteckt in der Wüste in einem alten Schiffswrack. Um ihren trüben Alltag zu überstehen erzählt Dodola ihrem Liebling die Geschichten, die ihr noch vor kurzem vom Kaligrafen erzählt wurden. Um an Wasser und Essen zu kommen, tauscht das Mädchen ihren Körper immer wieder bei vorbeiziehenden Karawanen gegen Verpflegung ein. Bis sie eines Tages gefangengenommen und in den Harem des Kalifen gesteckt wird. Während sie zur lieblings Dame des Monarchen wird, schlägt Zam sich alleine durch, bis er einen der Eunuchen kennenlernt, der den Harem bewacht.

Manchmal bin ich etwas langsam. So kommt es auch das ich die viel gefeierte Graphic Novel Habibi von Craig Thompson, erst mit einer Verspätung von fast zwei Jahren zur Lektüre genommen habe. Dazu muss man aber auch sagen, dass der Klopper mit seinen über 670 Seiten den Namen Graphic Novel auch mal wirklich verdient hat und durch die streckenweise Schwere des Stoffes und der Erzählart, nicht gerade als leichte Kost für zwischendurch geeignet ist. Man sollte sich jedenfalls schon mal ein Wochenende frei halten, wenn man diesen Comic erleben möchte. Wenn man nämlich erstmal angefangen hat, wird man diesen dicken Band nicht mehr weglegen können bevor das Märchen vorbei ist.

Ein Märchen genau darum handelt es sich bei dieser Geschichte. Egal wie anspruchsvoll und künstlerisch durchdacht dieser Band ist, am Ende ist es doch nur ein Märchen, das auf wundervolle und wunderschöne Weise eine packende und tragisch schöne Liebesgeschichte erzählt. Natürlich mit Happy End! Irgendwie jedenfalls. Natürlich muss man, wie es alle Kritiker auch zurecht tun, erwähnen wie großartig dieser Comic auf so vielen verschiedenen Ebenen ist, aber in erster Linie ist es wichtig zu sagen, dass es ein tolles Märchen für Erwachsene ist, das zugleich als eine Liebeserklärung an die Schönheit des Geschichtenerzählens ist.

Die Art wie hier erzählt wird, ist natürlich etwas ganz fantastisch Besonderes. Eindrücklich werden Parallelen zwischen den Legenden des Christentums und dem Islam aufgezeigt. Dabei werden viele Geschichten aus Bibel und Koran auf manchmal humorvolle lockere Art erzählt, wie zum Beispiel die von Noah und seiner Arche oder auch schon mal grafisch hart und schonungslos wie die des Hiob. Ein anderes Mal gerät die eigentliche Erzählung in den Hintergrund und es geht mehr darum das schöne Artwork in seiner vollen Pracht zu genießen. Dabei ist es manchmal etwas schade, dass es im Verlauf der Geschichte zugegebenermaßen auch mal vorkommt, dass die Kunst der Unterhaltung im Wege steht. Da ist der Anspruch des Künstlers auch mal höher als es dem Verlauf der Handlung gut tut. Dies fällt nicht wirklich negativ auf, lässt das Lesen aber über so manche Seite etwas anstrengender wirken als es nötig wäre.

Dafür ist das Artwork aber auch immer wahnsinnig schön. Bei fast 700 Seiten sind nur wenige darunter, die einfach nur gut aussehen. Dafür gibt es sehr viele, die für sich alleine als große Kunstwerke bestehen könnten. Nie hält er sich zurück zeigt Emotionen, Sex, Gewalt, Körperausscheidungen und alles andere menschliche in seiner gänzlichen Breite. Aber auch ansonsten geht Thompson gerne ins Detail. Egal ob bei anatomischen Fragen, Zahlenrätseln oder arabischer Kalligrafie und Linguistik. Durch solche Eskapaden wird die Geschichte für einige sicherlich ein wenig schwer zugänglich, aber selbst wenn die Geschichte auf euch etwas anstrengend wirken sollte lohnt es sich dran zu bleiben, da ihr immer wieder aufs neue für eure Aufmerksamkeit entlohnt werdet. Gerade am Ende wenn die Handlung von der düsteren arabischen Märchenwelt in eine aktuelle Gegendarstellung zwischen erster und dritter Welt verlegt wird, verliert alles kurzzeitig den roten Faden, der allerdings auch schnell wiedergefunden wird.

Optisch sicherlich einer der cleversten und aufregendsten Epen des Comicmediums. Jede Seite ist klasse arrangiert und alle Nase lang erwartet euch eine Seite die dazu einlädt Minuten lang die verspielten Details zu bestaunen und sich in ihnen zu verlieren. Schön das man bei Reprodukt auch eine gebührende Art der Veröffentlichung gewählt hat. Der Hardcover Band kommt in einer ultraedel anmutenden Aufmachung im Format 17 x 24 cm. Selbst wenn nur der Buchrücken im Regal zu sehen ist, fällt das Teil immer noch positiv auf und ist ein Hingucker. Die paar, die sogar noch langsamer sind als ich und Habibi noch nicht gelesen haben müssen dieses unartige Verhalten korrigieren und sich am besten mal einen Tag frei nehmen. Nicht ganz perfekt, aber das darf Kunst ja auch nicht sein. Daher:

10 von 10 regnende Worte