Erweckung (Festa)
Jim Stevens hat Haare auf den Handinnenflächen. Das ist schon mal eigenartig. Blöderweise weiß er nicht, ob er dieses Merkmal von seiner Mutter oder seinem Vater geerbt hat, da er noch als gerade geborener Säugling in einem Heim abgegeben wurde. Es gibt keine Aufzeichnungen wer ihn dort hinbrachte. Eines Tages – Jim ist mittlerweile glücklich verheirateter Schriftsteller – bekommt er die Nachricht, dass er einen in der Nähe wohnenden, schwerreichen Nobelpreisträger beerben wird. Der Wissenschaftler ist kürzlich bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Zumindest die Frage nach Jims Vater scheint geklärt und wenn er erstmal soweit ist, dürfte es auch nicht mehr allzu lange dauern, bis er die Identität seiner Mutter herausfindet. Leider werden Jim und seine Frau Carol durch die Tagebücher des Wissenschaftlers mit der harten und kaum fassbaren Realität konfrontiert. Währenddessen formiert sich eine kleine Gruppe strenggläubiger Christen, deren Mitglieder meinen, dem Ruf Gottes zu folgen. Die „Auserwählten“ glauben, dass Jim der Antichrist sei. Doch damit machen sie es sich eindeutig zu einfach...
Der Roman ist im Jahre 1968 angesiedelt. Wilson recherchiert gut und genau, was er schon in Die Gabe mit dem nötigen medizinischen Wissen bewiesen hat. Erweckung fügt sich prima ein und greift damalige Geschehnisse auf.
So weit, so gut. Nach einem recht forschen Einstieg in die Geschichte – man darf Zeuge der letzten Minuten von Jims „Vater“ werden – nimmt sich Wilson wie immer viel Raum, um seine Charaktere vorzustellen und versucht eine Bindung zum Leser zu schaffen. Nachdem das bei Die Gruft und Die Gabe wie geschmiert lief, gerät das Ganze hier etwas ins Stocken. Wenn man die drei vorigen Romane gelesen hat, werden die Muster, mit denen der Autor arbeitet, einfach zu deutlich. Er benutzt oft die gleichen Bausteine, um seinen Charakteren Tiefe zu verleihen. Da wären z.B. der Tod der Eltern und damit einhergehend das Aufwachsen bei der Tante/den Tanten, sexuelle Spannungen zwischen zwei Personen, die durch Zölibat/gesellschaftliche Normen keine sexuellen Spannungen verspüren sollten oder die Frage nach der eigenen Herkunft. Das führt leider dazu, dass den Charakteren in Erweckung das Individuelle etwas abhanden geht und man somit 250 Seiten eher mäßig unterhaltende Geschichte zu lesen bekommt.
Wirklich interessant wird es erst, wenn eine Gestalt in Erscheinung tritt, die eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Charakter aus einem der vorigen Bücher hat, und – da muss ich ein „bisschen“ spoilern – endgültig klar wird, dass Jim ein Klon ist. Ab diesem Zeitpunkt lässt Wilson sich nicht lumpen, mit unerwarteten Wendungen um sich zu werfen und endlich Spannung zu erzeugen. Das kommt reichlich spät, aber dann auch gut. Leider werden Die Gruft und Die Gabe nur durch kurze Absätze im letzten Kapitel angesprochen, so dass es eher sehr gewollt wirkt, dass die Romane in die Reihe gehören, als dass es geplant gewesen ist.
Wer aus dem Ringen mit dem zähen Anfang als Sieger emporsteigt, bekommt eine gelungene Fortführung bzw. einen gelungenen „Neubeginn“ der Reihe.
6,1 von 10 Warzen