Carlos Gardel (Reprodukt)
Seit September des Jahres 2003 ist der Tangosänger oder viel mehr seine Stimme, von den Vereinten Nationen als Weltkulturerbe eingetragen worden. Darüber ist man sich sicher. Dafür bleibt trotz einer Flut an Informationen bis heute nicht viel über den Argentinischen Sänger bekannt oder besser gesagt nicht ganz klar. Schnell wurde der charismatische und smarte Typ zum Star für Argentinien und Uruguay und kurz darauf zum Volkshelden. So was trägt zur Mythenbildung bei und seine Verschwiegenheit über sein Privatleben, die zu einer Mauer zum Schutze seiner Intimsphäre wurde, machte es natürlich noch schlimmer. Es beginnt sogar schon bei seiner Geburt. Die gängige Behauptung sagt aus, er wäre 1887 in Toulouse, Frankreich geboren, während andere von 1890 in Tacuarembó, Uruguay sprechen. Auch bei seinem Tod ist man sich nicht sicher, auch wenn man sich großteils darüber einig ist, dass er bei einem Flugunglück am 24. Juni 1935 ums Leben kam gibt es selbst dazu viele verschiedene Ansichten.
Genauso sieht es eben auch mit jedem Detail in seinem Leben aus. Die einen Kritiker werfen ihm vor mit der totalitären Regierung geklüngelt zu haben. Andere sehen ihn auf der Seite der Arbeiter und als Anarchisten, was ihn je nachdem von wem die Aussage kommt zum Helden oder auch Halunken macht. Die Wahrheit liegt auch hier vermutlich irgendwo dazwischen. Eben da setzen der Schriftsteller Carlos Sampayo und Comicillustrator José Muñoz an. Sie nehmen die unendlich vielen Informationen über den gefeierten Sänger und Schauspieler sortieren sie nach Wahrheit und Legende und packen zu erst einmal das wahrhaftige in eine Fiktive Handlung.
Ausgangspunkt der Graphic Novel ist eine fiktive Talkshow in Buenos Aires, zu unserer Zeit. Darin nehmen sich die Talkgäste das Leben Gardels auseinander um anhand der Legendenbildung Schlüsse auf die argentinische Volksidentität und wie man sich dann mal Sachen zurecht rückt damit alles stimmt. Das Fundament für den Comic, der dann im Verlauf abwechselst zu Gardels und zu unserer spielt, ist also die nachvollziehbare Wahrheit. Die allein reicht bei solch einem Mann aber nicht und wird ergänzt durch so manch einer Geschichte die man sich erzählt. Die dürfen sich auch gerne mal gegenseitig ausschließen oder widersprechen, denn letztlich weiß man es aber nicht. Diese Geschichten wiederum lassen aber sehr deutliche Schlüsse auf das damalige Argentinien und seine sozialen, kulturellen und politischen Entwicklungen zu. Und auch wenn mich persönlich Gardel als Künstler absolut nicht interessiert, gewähren die Sagen, die ihn umranken uns einen sehr intimen Einblick in die Funktionsweise des Landes. Schön ist dabei, dass der Autor nicht gleichzeitig auch noch versucht noch eine eigene Sichtweise mit einzubringen. Er wirft dem Leser großenteils einfach nur die gewonnen Erkenntnisse hin und lässt sie selbst über ihren Wert entscheiden. Liest sich spannend, ungewöhnlich und überraschend intim. Wer also an argentinischer Geschichtsaufbereitung interessiert ist, macht hier nichts falsch.
Optisch lässt Muñoz vieles sehr vage erscheinen, Gesichtszüge werden meist nur angedeutet und der Rest ergibt sich fast immer aus den harten schwarzweiß Kontrasten und großen negativen Flächen. Sehr wichtig für den Gesamteindruck ist auch das Handlettering von Céline Merrien ohne dass die Optik gar nicht funktionieren würde.
Carlos Gardel kommt als 128-seitige Klappenbroschur im Albenformat zu euch nach Hause.
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