Die Zeitfalte (Atrium)
Meg trägt eine Brille, findet sich selbst hässlich, in der Schule nervt sie ihre Lehrer durch unpassendes benehmen und ohne Pause sucht sie immer noch mehr Fehler an sich selbst. Sie ist eben Teenagerin und hat es mit ihren beiden Brüdern nicht gerade leicht, die immer alles richtig machen und niemals irgendwie auffallen. Dafür versteht sie sich mit ihrem kleinen Bruder Charles Wallace ziemlich gut und verteidigt ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Die meist halten ihn nämlich für dumm, da er trotz seiner vier Jahre erst vor kurzem zu sprechen begonnen hat. In Wirklichkeit ist er aber überaus intelligent und erfüllt nur zu gerne die Erwartungen, die sein Umfeld an ihn hat. Der Vater der vier Kinder ist genauso wie ihre Mutter Wissenschaftler, aber seitdem er vor einiger Zeit einen Auftrag für die Regierung angenommen hat spurlos verschwunden. Eines Tages ändert sich aber Megs Leben schlagartig.
Erst lernt sie in einer stürmischen Nacht Frau Wasdenn und am nächsten Morgen einen netten Jungen Namens Calvin kennen. Gemeinsam mit diesem Jungen und ihrem kleinen Bruder wird sie nur kurze Zeit darauf von Frau Wasdenn, Frau Diedas und Frau Dergestalt auf eine Reise durch die vierte und fünfte Dimension geschickt. Das Trio soll zum weit entfernten Planeten Camazotz reisen, dort hält eine düstere Entität, genannt “ES” nicht nur ihren Vater, sondern die komplette Bevölkerung gefangen. So tessern sie auf den fremden Planeten und finden eine vollkommen harmonische, aber auch von Zwängen erstickte Gesellschaft wieder. Doch Meg ist anders, sie hat Fehler und vielleicht ist ja grad das der Schlüssel zum Erfolg.
Bereits in den Fünfzigerjahren schrieb die Theaterschauspielerin Madeleine L’Engle ihren Jugendroman “A Wrinkle in Time”, den sie nach einigen Jahren dann 1962 doch noch veröffentlichen konnte. Ihr Glück, denn nicht viel später wurde der Roman millionenfach verkauft und zu einem Klassiker der Kinderliteratur. Aus heutiger Sicht wäre es interessant zu rekonstruieren wie es dazu kam, denn auch wenn mir die Geschichte sehr gefällt, irgendwie ist sie eigentlich zu schrullig um zu solch einem großen Phänomen zu werden, gerade damals.
Den Roman habe ich aber nie gelesen, daher kann ich auch keine Vergleiche mit der Graphic Novel anstellen, die nun mein erster Berührungspunkt mit der Geschichte war. Auf den ersten der Knapp 400 Seiten werden die Charaktere vorgestellt, was zu Beginn manchmal etwas chaotisch und nicht immer ganz nachvollziehbar ist. Denn eigentlich ist in der Familie niemand so wie man zuerst glaubt. Abgesehen von den Zwillingen sind aber alle Charaktere recht komplex und spannend angelegt. Auf sehr ungewöhnliche Weise entblättert sich langsam das Gefüge der Familie und lässt dramatische Momente der Pubertät offenkundig werden lassen, die man heute Genretechnisch sicherlich als Coming-of-Age einordnen würde. Dann nimmt alles aber eine überraschende Wende. Mit den drei exzentrischen alten Damen verschiebt sich die Handlung mehr in Richtung Science-Fiction. Reisen führen die Protagonisten auf Fremde Welten und lassen sie erkennen wie wichtig Liebe und Zusammenhang sind, aber auch das man sich nicht anpassen sollte und Sicherheit niemals wichtiger als Freiheit sein darf. Eine alte Botschaft, die Heute wohl nur noch dringlicher geworden ist anstatt zu veralten.
Auch wenn die Handlung aus der Ferne betrachtet relativ simpel anmuten mag, teilweise auch sicherlich nicht ganz klischeefrei erzählt wird, lässt ein genauerer Blick aber viele weitere Schichten als die offensichtlichen erkennen. Mitunter eine wahrlich tiefsinnige Geschichte, die auch vor Ausflügen in die Mathematik, Physik, Biochemie, Philosophie oder andere Fachgebiete nicht zurückschreckt. Letztendlich bleibt es irgendwie aber immer für alle Zielgruppen verständlich, wenn auch jüngere Leser an ein paar Stellen recht gut aufpassen müssen.
Für die Umsetzung von Roman zum Comic war Eisner Award Gewinnerin Hope Larson verantwortlich. Ihre Zeichnungen sind in schwarz, weiß und blau gehalten und trotz ihrer einfachen Natur meist sehr verspielt gehalten. Zu sehen gibt es einige fantastische Momente und großartige Spielereien mit großen Negativflächen. Die Panel wirken stets sehr lebendig und alle Bewegungen und jede Regung der Charaktere macht einen sehr frischen Eindruck, was die Geschichte durchgängig sehr energiegeladen erscheinen lässt.
Die Zeitfalte ist eine wunderbare Geschichte für Kinder und Jugendliche, hat aber auch genug Tiefe um erwachsene Leser fesseln zu können. Die Zeichnungen sind ebenso gelungen und obwohl es ein paar Seiten gibt die ein wenig zu textlastig geraten sind und ich Frau Dergestalt etwas nervig fand, trüben auch diese Punkte die Unterhaltung nicht übermäßig. Eine runde Graphic Novel!
7,9 von 10 Tantentiere